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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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sie ihn verloren hatte. »Hochwürden«, flüsterte sie.
    »Ich würde dir raten, geh nicht hinaus«, sagte die Magd. »Aber ich weiß, dass du trotzdem gehen wirst, also mache ich mir erst gar nicht die Mühe. Ich an deiner Stelle würde nicht gehen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich dein Leben gelebt habe und nicht mein eigenes. Ich liebe dich, Kindchen, das weißt du. Wenn du hinausgehst, wirst du wahrscheinlich unglücklich werden. Wenn du hierbleibst, wirst du auf jeden Fall unglücklich.« Zu Agnes grenzenloser Überraschung wurde das Lächeln der Frau breiter. »Was immer er jetzt ist und was immer du bist: vielleicht habt ihr nur eine einzige Stunde miteinander. Manchmal kann man sich an einer einzigen Stunde ein Leben lang festhalten. Tu, was Gott der Herr dir zu tun eingegeben hat.«
    Die Magd griff an Agnes vorbei und zog den Riegel zurück. Er glitt geräuschlos aus dem Bügel. Die Tür öffnete sich einen Spalt und Eiseskälte hauchte herein. Agnes begann zu zittern.
    »Ich warte hier auf dich und lasse dich wieder ein«, sagte die Magd.
    Dann war Agnes draußen, die Tür schloss sich leise, die Dunkelheit war fast absolut und die Kälte mörderisch, was von der Umgebung zu sehen war, verschwamm hinter den Tränen in ihren Augen.
    Aus dem schwarzen Abgrund einer Tordurchfahrt gegenüber löste sich ein Schatten und glitt auf sie zu, und wenn der Schatten in diesem Augenblick von ihr verlangt hätte, mit ihm gemeinsam zu sterben, hätte sie es getan.
    Im Inneren des großzügigen Wagens war es nicht weniger kalt als draußen; der Luftzug fehlte, dafür schien sich eine Glocke ganz besonderer Kälte hier gehalten zu haben. Agnes schlotterte, kaum dass sie sich hingesetzt hatte. Das Leder der Sitze war wie ein Eisblock. Cyprian, eine massige Gestalt aus Finsternis, setzte sich ihr gegenüber, starrte sie wortlos an, zerrte sich den Mantel von den Schultern und hüllte sie darin ein, bevor sie protestieren konnte. Sie hätte ihm sagen können, dass auch ein dritter Mantel nutzlos gewesen wäre, weil die Kälte aus ihrem Inneren kam. Cyprians Kleidung roch nach ihm; der Duft stieß einen Eiszapfen in ihr erstarrtes Herz.
    »Agnes«, sagte Cyprian. Seine Stimme brach kaum merklich. Es war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Etwas drehte ihr das Herz in der Brust herum und zerquetschte es, und der Schmerz war so schlimm, dass ihr die Tränen kamen.
    »Wo bist du die ganze Zeit gewesen?«, schluchzte sie.
    »Ich wollte dich nicht alleinlassen.«
    »Du hattest mir versprochen …«
    »Ich weiß. Mein Versprechen gilt immer noch.«
    Sie hörte seine Worte kaum. Ihr Schluchzen kam so stoßweise, dass es ihr selbst in den Ohren klang.
    »Wo bist du gewesen?« Sie merkte, dass etwas in ihrer Kehle hochstieg und sich Bahn brach, bevor sie es aufhalten konnte. »Wo bist du GEWESEN?«, schrie sie.
    Sie fühlte seine ruhige Musterung. In ihrem Hirn tobte ein Unwetter, das Wellen auftürmte. Die Wellen überschwemmten sie und ließen sie untergehen.
    »Ich habe auf dich GEWARTET!«, schrie sie. »Gewartet!Mit einem Herz voller Hoffnung und dem Mund voller Lügen, wann immer mir jemand von meiner Familie oder vom Gesinde über den Weg lief. Den ganzen Tag habe ich darauf gewartet, dass du dein Versprechen wahr machst und mich holen kommst – ich habe selbst dann noch gewartet, als meine Eltern mich mit Gewalt aus Wien verschleppten. Ich habe nie gedacht, dass du mich im Stich lassen würdest! Ich habe noch gewartet, als wir schon fast hier in Prag angekommen waren!«
    »Hast du aufgehört zu warten?«, fragte er.
    Sie blinzelte verwirrt. Sie konnte ihm keine Antwort darauf geben. »Wo warst du?«, fragte sie ruhiger.
    Er musterte sie weiterhin auf seine aufreizend ruhige Art. Sie sah seinen Atem, der in der Kälte sofort zu Dampf wurde. Auf dem Boden des Wagenkastens stand eine kleine Laterne, die Klappen halb geschlossen; von außen würde kaum ein Lichtschein zu sehen sein. In der Düsternis blitzten zwei matte Spitzlichter in seinen Augen. Auf seltsame Weise hatte sie den Eindruck, dass es plötzlich doch nicht mehr so kalt war. Sie zog seinen Mantel fester um die Schultern.
    »Ich war im Gefängnis«, sagte er schließlich.
    Sie stellte fest, dass sie nicht überrascht war. »Sebastian«, sagte sie. Sie erinnerte sich, dass Sebastian Wilfing an jenem Tag, an dem sie vergebens auf Cyprian gewartet und die Abreisevorbereitungen der beiden Familien Wiegant und Wilfing ungläubig ignoriert

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