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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hatte, in ihr Haus gekommen, einem bepackten Dienstboten ausgewichen und gegen einen Balken gerannt war. Er hatte sich den geschwollenen Kieferknochen gerieben und gleichzeitig gelacht und gestöhnt, mit aufmerksamen Seitenblicken in ihre Richtung. In Agnes’ Erinnerung schwamm ein Eindruck hoch, der damals in all dem beginnenden Entsetzen, das ihr Innerstes ausfüllte, fast untergegangen war. Sebastians Missgeschick hatte reichlich hölzern gewirkt. Sie hatte gedacht, er habe die Burleske aufgeführt, um sie zu erheitern. Danach hatte sie sein geschwollenes,geschundenes Gesicht gesehen und gedacht, dass es eine reichlich selbstzerstörerische Burleske war; und wieder danach hatte sie überhaupt nichts mehr gedacht, weil Cyprian immer noch nicht gekommen war und sie im Reisewagen saß und die Räder eilig über Pflaster und festgetretenen Dreck ratterten.
    »Ich hatte mich darauf verlassen, dass Onkel Melchior mich rausholen würde, aber Onkel Melchior war bis nach Weihnachten in Rom. Er wollte Papst Innozenz unterstützen. Weißt du, dass Papst Innozenz tot ist?«
    Sie nickte.
    »Der dritte Papst innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Onkel Melchior ist überzeugt, dass das Ende der Welt nahe ist.«
    »Meine Welt ist untergegangen, als du nicht kamst«, sagte sie. Diesmal war ihre Stimme ohne Vorwurf. Er erwiderte nichts.
    Sie fühlte ein Verlangen, ihn zu berühren und an sich zu drücken, das ebenso stark war wie die plötzliche Wut, die sie überfallen hatte. Die Wut war spurlos verpufft und hatte dieses Verlangen nach seiner Berührung zurückgelassen, das schmerzte, weil es sich nicht erfüllte. Er bewegte sich keinen Zoll, und auch sie saß wie erstarrt. Sie hatte das Bild vor Augen, wie er unten vor dem Eingang gestanden hatte, ein Priester der Dunkelheit. Hochwürden –
    »Was ist passiert?«, flüsterte sie.
    »Onkel Melchior hat mich aus dem Kerker geholt, kaum dass er erfahren hatte, was geschehen war. Mein Bruder hatte ganz am Anfang einen Versuch unternommen und dann aufgegeben. Die Wachen brachten mich hinaus, und da stand er, Melchior Khlesl, magerer und blasser denn je. Er sagte: ›Schön, wieder zurück zu sein.‹ Ich sagte: ›Ich bin deiner Ansicht.‹ Dann brachte er mich in seinen Palast, und ich nahm das erste Bad seit drei Monaten. Während einer seiner Diener mich rasierte, erzählte er mir, was in Rom geschehen war.«
    »Was interessiert mich Rom?«, fragte sie. »Was ist mit dir geschehen?« Sie machte eine schwache Handbewegung zu seiner Kleidung hin. Die Wärme, die sich im Inneren ihrer Höhle aus zwei Mänteln gesammelt hatte, verflüchtigte sich wieder. Ihre Füße waren Eisklumpen.
    »Onkel Melchior stellte eine Bedingung.« Er zupfte an seinem Gewand herum.
    »O mein Gott – Cyprian –«
    Cyprian nickte. Dann lächelte er plötzlich breit. Er nahm das Birett, das er neben sich gelegt hatte, und reichte es ihr. Aus der Nähe erkannte sie, dass es nur die hohe Krone eines ganz normalen Huts war, an den erforderlichen Stellen eingedrückt und ohne Krempe. Cyprian lehnte sich zurück. Sie sah, dass seine Kleidung nicht die eines Priesters war, sondern lediglich schwarz und schmucklos; was unter dem Mantel wie ein Priesterrock ausgesehen hatte, war lediglich ein dünnes Cape, und statt der Kesselpauke trug er eng anliegende knielange Hosen. Sie sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam: »Du hast gelogen.«
    »Nein«, sagte er. »Ich habe nur nicht widersprochen, als dein Vater und der alte Wilfing glaubten, ich hätte den Eid abgelegt.«
    Agnes legte das falsche Birett neben sich. Wenn man wusste, was es war, schien es unglaublich, dass man darauf hereingefallen war. Sie erinnerte sich an die Gefühle, die sie durchzuckt hatten, als ihre Magd »Hochwürden« gesagt hatte. »Du hast es sie glauben lassen.«
    »Onkel Melchiors Einfluss reicht nicht bis nach Prag. Wenn deine Familie und die Wilfings glauben, ich sei Priester und nur dem Kirchenrecht unterworfen, dann fangen sie nicht an, die alten Anschuldigungen hervorzukramen. Und ich habe nicht mal eine Sünde begangen. Alles, was ich getan habe, war, einen alten Hut ein bisschen einzudellen und die Dunkelheit auszunutzen.«
    »Du hast es mich glauben lassen«, sagte Agnes.
    »Ich bin kein Priester«, sagte er. »Und ich will immer noch mein Versprechen einlösen.«
    Sie sah auf. In den letzten Sekunden hatte sie ihm nicht in die Augen blicken können. Sie hatte befürchtet, er sähe darin die Fassungslosigkeit über seine Tat.

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