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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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die beschlossen hatten, statt zu erfrieren lieber zu verhungern, stiegen Rauchsäulen und hauchten den Geruch von feuchtem Holzbrand in die Morgenkälte. Entgegen der landläufigen Meinung starb es sich an Lepra nicht so leicht, wenngleich die meisten, die sich mit der Seuche angesteckt hatten, von ihrer Umgebung als tot betrachtet wurden und es sich zweifellos selbst wünschten. Es waren wenige Häuser, an denen ein derartiges Lebenszeichen wahrzunehmen war. Wie es in denen aussah, die still unter der Wolkendecke lagen, wollte Cyprian sich nicht vorstellen.Er benutzte kahles Gebüsch, Heuschober und Bodenwellen als Deckung auf seinem Weg nach Podlaschitz hinunter, obwohl er keine Menschenseele erblickte. Er ertappte sich dabei, wie er vor Berührungen all der Dinge zurückzuckte, die von Menschenhand gemacht waren – Steinmauern, zusammengetragene Totholzhaufen, die geschälten Pfosten von Unterständen – und redete sich ein, es sei wegen der Kälte. Das Bewusstsein eines Mannes konnte ihm noch so oft vorsagen, dass nie ein Mensch vom Aussatz befallen worden war, weil er in einem Lepragebiet etwas angefasst hatte, das seit langem Wind und Wetter ausgesetzt gewesen war; doch der Körper hatte sein eigenes Wissen und zog die Hände schneller zurück als das Denken den Reflex überwinden konnte. Als Cyprian die Bachböschung hinunterrutschte, die das halb zugefrorene Rinnsal neben der Klosterruine einfasste, schwitzte er. Von seinem Versteck aus musterte er das Areal, das vor ihm lag und über dem sich das Gerippe der Kirche erhob. Er hatte es sich größer vorgestellt. Es war natürlich idiotisch, zu glauben, dass Bosheit und Verderben immer räumliche Größe brauchten, um zu gedeihen; man erwartete es dennoch nicht anders.
    Der Torbau war in sich zusammengefallen und stellte sich als das perfekte Hindernis dar, um jedem den Zutritt zu verwehren; allein der gemauerte Bogen war noch übriggeblieben und spannte sich über ein grau-weiß geschecktes Trümmerfeld. Die in sich zusammengesackte Mauer gleich daneben bot sich als neuer Tordurchgang an; die herausgebrochenen Steine lagen so, dass man sie als Treppe benutzen konnte. Cyprians Atem ging stoßweise und verdampfte in der Luft. Es regte sich nichts in jenem Monument der Zerstörung, in jenem Zentrum menschlicher Fäulnis, nicht einmal Raben, die sich überall dort sammelten, wo es etwas zu picken gab, waren zu sehen. Wer wollte, konnte das Verderben spüren, das noch immer von den Mauern ausströmte, in denen einst ein Mönch das Testament des Satans geschrieben hatte. Cyprian wollte esnicht und meinte dennoch, es zu fühlen. Je länger er die erstarrte Trümmerlandschaft betrachtete, umso mehr stellten sich seine Haare auf.
    »Verdammter Mist«, flüsterte er schließlich in die Totenstille.
    »Ich pflichte Ihnen bei«, antwortete eine Stimme.
    Cyprian warf sich herum. Er hatte wie immer keine Waffe eingesteckt. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Um die Biegung des mäandernden Baches herum spähte ein bleiches Gesicht zu ihm herüber, auf dem die roten Wangen und die erfrorene Nase wie aufgemalt wirkten.
    »Ich bin Ihnen gefolgt«, sagte der Mann. »Sie machten den Eindruck, als wüssten Sie, was Sie tun, und ich habe ehrlich gesagt nur darin Erfahrung, vor Stadtknechten davonzurennen.«
    Cyprian starrte ihn an. Der Mann zuckte die schmalen Schultern.
    »Sie dagegen bewegten sich so, als hätten Sie Ihr ganzes Leben nur damit verbracht, Wachposten zu umgehen.«
    »Sie sind ein Bettler oder ein Dieb«, sagte Cyprian zuletzt.
    »Der kleine Andrej war einer. Und Sie – Sie sind ein Spion, stimmt’s?«
    »Alles, was der kleine Cyprian nie werden wollte«, sagte Cyprian.
    Die beiden Männer musterten sich. Cyprian verfluchte sich im Stillen, nur darauf geachtet zu haben, dass er nicht entdeckt wurde, anstatt zu versuchen, jemand anderen zu entdecken, der ihm nachschlich. Hinter Andrejs magerer Fassade schien mehr zu stecken, da er es geschafft hatte, Cyprian zu überraschen. Cyprian stieß die Luft aus.
    »Kommen Sie herüber«, zischte er.
    Andrej von Langenfels krabbelte an Cyprians Seite. Er war bedacht, dass sein Kopf nicht über dem Rand der Bachböschung zu sehen war. Als er sich neben Cyprian auf die kalte Erde presste, konnte Cyprian erkennen, dass der andere nichtweniger schweißgebadet war als er selbst. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.
    »Meine Mutter hat mich immer davor gewarnt, verschwitzt im Schnee zu liegen«, sagte

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