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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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haben nichts zu befürchten.«
    »Na schön«, sagte Cyprian.
    Der Scharführer folgte ihnen mit den Blicken. Cyprian gab einen Blick zurück. Es lag ihm nichts daran, den Scharführer zu reizen; der Mann tat nur seine Pflicht, und er hätte sie schlechter tun können. Cyprian setzte ein Lächeln auf und winkte ihm mit einer Bewegung zu, die ein halber Salut war. Der Scharführer sagte einen Satz, der sich anhörte wie eine längere Beschimpfung.
    »Was meint er?«
    »Er hat uns die Namen der betroffenen Orte genannt«, sagte Andrej.
    »Und wie lauten sie?«
    »Chrast, Rositz, Horka, Chacholitz, Skala und Podlaschitz.«
    7
    Die guten Bürger von Chrudim hatten einen Kreis um ein Gebiet gezogen, das etwa so groß sein musste wie Wien mit seinen Vorstädten, hatten auf allen Straßen, Wegen und Pisten Wachposten platziert und neben der Hauptstraße einen Galgen errichtet, um zu demonstrieren, was dem zustieß, der nicht einsah, warum er in dem abgeriegelten Gebiet bleiben sollte. Der Galgen war leer, aber das musste nichts weiter bedeuten, als dass jeder Gehängte sofort abgenommen und verscharrt wurde, weil er möglicherweise auch noch im Tod die Krankheit verbreitete. Wer sich innerhalb der Grenze befand, war entweder leprös oder musste sich damit abfinden, als leprös zu gelten. Wer das Pech gehabt hatte, sich dort auf Besuch zu befinden, besaß plötzlich die Bürgerrechte dieses lebenden Friedhofs; wer das Glück gehabt hatte, anderswo auf Besuch gewesen zu sein, während die Räte von Chrudim handelten, legte keinen Wert mehr darauf, seine Chraster, Rositzer, Horkaer, Chacholitzer oder Podlaschitzer Rechte einzufordern und antwortete auf die Frage, ob er nicht auch von dort stamme, mit einem empörten Augenaufschlag und der örtlichen Sprachvariante von »Wer, iiich?«. Man hatte ein Gebiet unbetretbar gemacht, das im Nirgendwo lag, durch das keine wichtigen Straßen liefen und das weder genügend Lebensmittel lieferte, um einen Posten im landgräflichen oder kaiserlichen Haushalt auszumachen, noch von strategischem Interesse war. Die Bewohner der betroffenen Orte hatten niemanden interessiert, als der Fluch des Aussatzes noch nicht über sie gekommen war; jetzt waren die Ortsnamen zwar in aller Munde, aber man konnte nicht behaupten, dass die Teilnahme an den Schicksalen der Menschen größer geworden wäre. Die Gegend wäre selbst im Hochsommer bestenfalls beruhigend gewesen; im Februar und in der Morgendämmerung war sie trostlos. Die braunen und weißen Flächen sahen aus, als wäre das Land selbst von der Lepra befallen. Es war kein Wunder, dass die Lage des Orts, an dem das Vermächtnis des Satans entstanden war, jedem Gedächtnis entschwunden war; und jemand, der leichter zu beeindrucken gewesen wäre als Cyprian, hätte sich beklommene Gedanken gemacht angesichts der Tatsache, dass hier, wo einst ein eingemauerter Mönch und der Teufel versucht hatten, einander zu betrügen, Land und Leute gleichermaßen vom Aussatz befallen waren.
    Stattdessen machte Cyprian sich Gedanken, ob es ihm gelingen würde, aus dem Kessel wieder zu entkommen. Hineinzukommen war einfacher gewesen, als er es sich vorgestellt hatte. In der Morgendämmerung war die Aufmerksamkeitsspanne der Wächter auf dem Tiefpunkt. Alles, was es gebraucht hatte, war, sich aus Chrudim hinauszustehlen, bevor die Tore geschlossen wurden, sich zu Fuß auf den Weg nach Chrast und Umgebung zu machen, während der Nacht nicht von der Richtung abzuweichen und sich dann in der Nähe eines Postens zu verstecken. Als der Himmel erste Anzeichen von Dämmerung zeigte und die Posten von der Nachtwache erschöpft, von der Kälte zermürbt und von der Aussicht auf Ablösung abgelenkt waren, hatte er sich durch einen niedrigen Streifen Nadelwald geschoben und das Land der Teufelsbibel betreten.
    Chrast war ein formloser Haufen Häuser. Es lag an der Flanke eines nach Südosten abfallenden Hügels. Man konnte die anderen Ansiedlungen gut von dort überblicken: sie lagen Chrast zu Füßen wie die verschmachteten Kälber einer toten Kuh. Dass Podlaschitz einmal der Mittelpunkt dieser Gegend gewesen sein musste, bevor die Teufelsbibel, die Hussitenkriege oder beides miteinander über Land und Leute gekommen waren, war klar zu erkennen – die Klosterkirche, die zwei halbzerstörte Türme in die Gräue reckte, inmitten geborstener Mauern lag und an das halb zerfressene Skelett eines riesigen Kadavers erinnerte, war bis hierher zu sehen. Aus den Häusern derjenigen,

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