Die Teufelsbibel
doch raus – es sieht wunderbar aus. Der Frühling kommt endlich.«
»In Wien wäre er schon längst da.«
Sebastian Wilfing drehte sich zu seiner Schwiegermutter in spe um, die in der Tür stand.
»Da haben Sie Recht, Frau Mutter. Aber sind manche Dinge nicht umso schöner, je länger man darauf wartet? Was meinst du, Agnes?«
»Ja.«
Agnes spürte die wachsende Verzweiflung ihres Bräutigams. Sie rührte sie nicht, ebenso wenig wie die Wellen aus Abneigung, die förmlich von ihrer Mutter ausstrahlten und die sie fühlte, obwohl eine ganzer Saal sie trennte und Agnes ihr den Rücken zugekehrt hatte. Nichts konnte in die Tiefsee aus Abscheu vordringen, in deren Abgründen die Leiche von Agnes Wiegant lag und von den Ungeheuern aufgefressen wurde, die dort unten lebten: Selbstverachtung, Reue und die Gewissheit, ihre Zukunft verspielt zu haben.
»Wie zum Beispiel unsere Vermählung. Den ganzen Winter haben wir gewartet, und jetzt endlich – In fünf Wochen ist Ostern –«
Sebastian Wilfings Stimme wurde der seines Vaters immer ähnlicher. Sie stellte sich vor, wie er auf die Frage des Pfarrers »– und willst du, Sebastian Wilfing, die hier anwesende Agnes Wiegant zu deiner rechtmäßig angetrauten Frau nehmen, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?« antwortete: »Oiiiink!« Ihr drehte sich der Magen um.
»Schau doch hinaus, wie schön die Welt wieder geworden ist«, sagte Sebastian Wilfing hilflos und räusperte sich.
Sie hatte Cyprian zurückgewiesen. Er war bis nach Prag gekommen, und ihre erste Reaktion war gewesen, ihm Vorwürfe zu machen. Nein, nicht ganz. Ihre erste Reaktion war gewesen, im Hemd zu ihm in die Kälte hinauszulaufen. Doch dann hatte er von seinem Onkel gesprochen und von dem Auftrag, den er vorher noch erledigen müsse –. Ein kleines Flämmchen Zorn erhitzte den Körper, der in der Grabeskälte der Tiefsee lag, aber diese Flämmchen waren in der letztenZeit immer schwächer geworden und vermochten jetzt nicht mehr, als die Tränen anzuregen, die Agnes jedes Mal wegblinzelte. Wie lange litt sie hier nun schon, seit sie aus Cyprians Kutsche gesprungen war? Eine Woche? Und er hatte sich seitdem nicht ein einziges Mal gemeldet, nicht einmal versucht, mit ihrer Magd Kontakt aufzunehmen. Er hatte genug von ihr. »Lass sie in Ruhe«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter. »Sie weiß gar nicht, welches Glück sie hat, dass du sie trotz allem nehmen willst, Sebastian. Sie hat dich nicht verdient.«
»Das dürfen Sie nicht sagen, Frau Mutter. Ich bin glücklich, Agnes’ Fußabtreter zu sein.« Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme und die Falschheit.
Was blieb noch für sie zu tun?
Der Mann, den sie liebte, hatte seinen Onkel und irgendeinen obskuren Dienstbotengang vor die Liebe zu ihr gestellt; und selbst wenn dies irgendwann einmal nicht mehr zwischen ihnen stehen würde, gäbe es doch immer noch die Tatsache, dass Agnes sich nicht weniger lieblos verhalten und ihn zurückgewiesen hatte. Er hatte die Botschaft offenbar verstanden. Weshalb sonst meldete er sich nicht mehr?
Der Mann, den sie heiraten und mit dem sie ihr Leben teilen würde, war ihr unerträglich. Was immer er für sie empfand, in ihren Augen waren alle seine Gefühle korrupt, und auch wenn sie ehrlich gewesen wären, so wären sie doch verdorben worden durch den Abscheu, mit dem sie sie aufnahm. Er hatte versucht, Cyprian verprügeln zu lassen, und als er den Kürzeren gezogen hatte, hatte er mit Hilfe seiner Freunde dafür sorgen wollen, dass Cyprian im Gefängnis vermoderte. Was würde er mit ihr anstellen, wenn sie sich seinen Plänen zum ersten Mal in den Weg stellte? Wenn sie ihn in der Hochzeitsnacht zurückwies, zum Beispiel? Würde er sie schlagen, bis sie nachgab? Oder würde er auch hier Hilfe anfordern? Würde er sich mit der gezwungenen Zuvorkommenheit und Würde, die er seit ihrer Ankunft in Prag an den Tag legte, zurückziehen und am nächsten Tag seine Schwiegereltern auffordern, ihre Tochter zur Räson zu bringen? Sie schüttelte sich.
»Frierst du, meine Liebe? Wo sind die Faulpelze – heizt den Kamin ein, zum Teufel!«
Was konnte sie tun? In der Kirche bei der Vermählungszeremonie für einen Skandal sorgen, indem sie »Ich will … nicht!« antwortete? Die Folge wäre die Rückkehr zu ihren Eltern, bis diese sich dazu entschieden, sie mittels des Eintritts in ein Kloster aus ihrer Welt zu schaffen. Zwei Gefängnisse nacheinander – und ihres Vaters gebrochenes
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