Die Teufelsbibel
den Brillengläsern blinzelten.
»Wo ist diese Kirche?«
»Warte, Pater, warte. Ich muss dich warnen. Ich kenne diese Kirche, und ich weiß, dass es tatsächlich ein ausgedehntes System von alten Höhlen darunter gibt. Aber –«
»Ich lasse mich nicht aufhalten, und wenn der Höllenhund persönlich darüber wacht«, sagte Pater Hernando.
»Es gibt keinen Höllenhund, Pater. Aber es gibt Tonnen und Abertonnen von hart gebackenem Schlamm, der seit einer der letzten Überschwemmungen die ganzen Katakomben erfüllt. Du müsstest dich hindurchgraben , Pater. Sollte dieses verfluchte Buch wirklich dort ruhen, dann kannst du es getrost auch in Ruhe lassen. Niemand wird darankommen.«
Der Bischof betrachtete Pater Hernando unter gesenkten Lidern und wartete darauf, dass er den Köder annahm. Er hoffte es von ganzem Herzen. Er wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein, weil dies geheißen hätte, dass er die Welt vor der Teufelsbibel mit genau den Methoden zu schützen versuchte, für die das verfluchte Werk stand.
»Dieses Risiko kann ich nicht eingehen, Ehrwürden«, flüsterte der Dominikaner. »Wenn ich danach graben muss, dann grabe ich. Ich kann erst ruhen, wenn ich selbst sehe, wiees in Flammen aufgeht. Ich werde graben, und wenn es hundert Jahre dauert!«
»Ich werde für dich beten.«
»Wo ist diese Kirche?«
Bischof Melchior legte die Fingerspitzen aneinander und gestattete sich ein Lächeln. Es wirkte Anteil nehmend, die tatsächliche Emotion dahinter war jedoch tiefe Erleichterung. Er begann, dem Dominikaner den Weg zur Heiligenstädter Kirche so gut wie möglich zu beschreiben.
14
Pater Xavier fühlte das rasende Pochen ihres Herzens in seiner Handfläche. Er strich ihr mit dem Daumen über den Kopf, über den Nacken, langsame, fast zärtliche Bewegungen. Er gab den Blick aus den angstvollen schwarzen Augen zurück und lächelte. Die Knochen waren zu spüren und vermittelten ihm die Gewissheit, über einen Leib zu streicheln, den er mit einer Handbewegung zerdrücken konnte; er beherrschte das Zucken, das sich unwillkürlich mit diesem Gedanken einstellte. Nach und nach beruhigte sich das Pochen, entspannte sich der zierliche Körper. Der Widerstand der heißen, harten Krallen ließ nach. Pater Xavier drehte die Brieftaube um und nestelte die Botschaft von ihrem Fuß. Er ließ das Tier los. Es duckte sich, doch dann erkannte es das Körnerhäufchen auf dem Tisch und trippelte darauf zu. Pater Xavier machte sich daran, die Botschaft zu entschlüsseln.
Einige Zeit später starrte er nachdenklich ins Leere, während die Taube pickte. Das rhythmische Klopfen des Vogelschnabels war wie ein Uhrwerk. Es war ansteckend. Pater Xavier ertappte sich plötzlich dabei, wie er mit dem Finger auf das alte Pergament, auf das er die entschlüsselte Botschaft gekritzelt hatte, tippte. Er schob die Kerze näher heran, riss denText ab und hielt ihn an die Flamme. Das Pergament krümmte sich, bevor es zu glimmen begann und die Buchstaben sich in Rauch auflösten. Pater Xavier las sie im Wettstreit mit dem Feuer noch einmal.
»CK und AvL von weitem beobachtet. Mission in P gescheitert. Keine Spur zur T gefunden. Vorhandensein 1572 wahrscheinlich; Aufenthalt heute ??? Wann sehe ich mein Kind?«
Pater Xavier beobachtete, wie der letzte Buchstabe der Botschaft, ein Y, in der Flamme verschwand. Er ließ den Rest des Pergamentfetzens auf den Tisch fallen und sah ihm zu, wie er sich in ein Ascheflöckchen verwandelte. Y. Sie unterzeichnete jede ihrer Botschaften mit Y, als ob er nicht wüsste, von wem sie kamen. Es war, als ob sie ihm damit zu verstehen geben wollte, dass sie ein menschliches Wesen war, kein Werkzeug. Was das betraf, konnte sie nicht ahnen, dass der Unterschied in Pater Xaviers Augen kein beträchtlicher war.
Die Frage nach ihrem Kind war ebenfalls fester Bestandteil der Nachrichten Yolanta Melnikas. Pater Xavier lächelte. Solange sie fragte, hatte sie Hoffnung. Solange sie Hoffnung hatte, würde sie alles tun, was er verlangte.
Er klaubte ein paar Körner auf und ließ die Taube auf seine Handfläche klettern. Während sie den Rest der Mahlzeit aufpickte, streichelte er die glatten grauen Federn. Cyprian Khlesls wohlüberwachte Reise nach Südböhmen hatte nichts erbracht außer der Gewissheit, dass es nun mindestens einen Ort gab, an dem er, Pater Xavier, nicht mehr suchen musste; außerdem viele Einblicke in das Herz Andrejs von Langenfels, der so unverhofft zum Begleiter Cyprians geworden
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