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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Verbitterung erstarrte und die sich die Schuld daran gab, dass die Ehe kinderlos blieb, während sie täglich das Grab besuchte, das vor vielen Jahren für einen winzigen Körper gegraben worden war. Es war noch schwerer, am Ende des Jahres zu dieser Frau zurückzukehren und zu erleben, wie siein den abgelaufenen Monaten noch ein wenig tiefer in den Trübsinn, in die Trauer, in die Vereisung geglitten war. Es war am schwierigsten, wenn man diese Frau von Herzen liebte.
    Und jetzt – das Kind. Als die Bettlerin ihn angesprochen hatte, hatte er es zum ersten Mal gesehen: nur ein paar Tage alt und so schwach, dass es aussah wie ein Greis. Es hatte die Augen offen gehabt, doch ob es etwas wahrnahm und was, konnte er nicht erkennen. Die Frau hatte es gestillt; so erschöpft, wie sie selbst war, konnte sie nur ein paar Tropfen Milch haben. Das Kind hatte ihn die ganze Zeit über mit seinen weit offenen, riesengroßen Augen angestarrt, ohne zu blinzeln; selbst als es an der Brust hing, hatte sein Blick ihn nicht losgelassen.
    Niklas hatte das seine getan, damit die Frau und das Kind es komfortabel hatten. In einem der Wägen, der Stoffe transportierte und dementsprechend mit einem gepichten Dach gegen den Regen gesichert war, hatte es – zwischen den Tuchballen – sogar so etwas wie Wärme gegeben. Jeder Schritt, den sein Pferd tat, hatte zugleich einen Gedanken zu diesen beiden geschickt, und Niklas hatte mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht beobachtet, wohin sich diese Gedanken entwickelten.
    Schließlich hatte er Gott um Hilfe angerufen. Starb das Kind, bis sie Prag erreichten, würde er das Begräbnis bezahlen und der Frau ein Almosen geben, das sie über den Winter brachte. Starb es nicht, dann – würde er die Frau bitten, das Kind adoptieren zu dürfen. Nun war es an Gott, zu entscheiden.
    Das Kind gedieh. Es starb nicht, es wurde nicht einmal krank auf der von der Langsamkeit der Ochsenkarren bestimmten viertägigen Reise, es störte nicht, es sah Niklas nur die ganze Zeit über mit seinen großen Augen an, sobald er einen Blick in den Tuchwagen warf. Niklas begann sich zu fragen, ob Gott der Herr die Seele seines ersten, bei der Geburtumgekommenen Kindes nicht noch einmal auf die Welt zurückgeschickt hatte, um ihr eine zweite Chance zu geben, und ob Gottes Engel es nicht so gedeichselt hatten, dass er ihr auf der Straße nach Prag begegnete. Das Kind war ein Mädchen; Niklas’ Kind wäre ein Sohn gewesen. Es gab nichts, was unbedeutender hätte sein können.
    Bei ihrer letzten Rast vor Prag nahm Niklas die Frau beiseite und sprach mit ihr.
    7
    »Hast du gewusst , dass es nicht ihr eigenes Kind war?«
    »Nein«, sagte Niklas. »Ich hatte keine Vorstellung, was es für eine Mutter bedeuten könnte, wenn man ihr vorschlug, ihr Kind mit fortzunehmen – ›Wissen Sie, ich kann besser für es sorgen als Sie selbst, meine Liebe‹.« Niklas schüttelte sich. »Ich bin froh, dass ich wenigstens diese Sünde nicht beging.«
    »Sie hat dir schließlich erzählt, das Kind sei die einzige Überlebende eines Massakers, das ein verrückt gewordener Mönch an hugenottischen Flüchtlingen aus Frankreich verübt hat.«
    Niklas musterte Cyprian. »Ja«, sagte er nach einer langen Pause. Dass er nicht fragte, woher Cyprian dies wusste, zeigte, wie er seinen Gesprächspartner einschätzte. Cyprian erinnerte sich, wie Niklas ihn aus dem Haus geworfen hatte mit dem unüblichen Abschiedsgruß »Ich mag dich«. Er schluckte die erneut aufsteigende Wut hinunter. Wir stünden nicht hier vor der Leiche der Geliebten eines Mannes, der sich als treuer Freund erwiesen hat, wenn du nicht so verbohrt an deinen Heiratsplänen mit Sebastian junior festgehalten hättest, dachte er erbittert. Aber es ergab überhaupt keinen Sinn, der Wut zu folgen. Zu den meisten Fragen begannen sich Antworten in Cyprians Kopf zu formen, nur zur wichtigsten nicht: wo war Agnes?
    »Sie hat mir keine weiteren Details mitgeteilt, nur, dass es besser wäre, wenn ich sie nicht kennen würde und dass ich ihr versprechen müsse, das Kind niemals mit Kirchenkreisen in Berührung zu bringen. Ich versuchte mir meinen eigenen Reim darauf zu machen. Sie war als Hugenottin geboren, und niemand sollte jemals erfahren, dass es das Massaker gegeben hatte. Die Katholiken und die Protestanten in Böhmen wären sich gegenseitig an die Gurgel und das ganze Land in einem Bürgerkrieg untergegangen.« Niklas ballte die Fäuste. »Cyprian, mir war es völlig egal, ob

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