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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Moosbärte hingen hier lange, dünne Eiszapfen wie Klingen aus Glas. Cyprian fröstelte. Sein Hemd war am Rücken durchnässt, seine Stiefel nicht weniger, und in der kalten Luft stand der Atem. Sein Herz schlug schneller: im Schnee waren verzerrte Abdrücke zu sehen, tiefe, längliche Löcher. Er bückte sich, so gut es ging, und maß eines der Löcher mit der Handspanne aus. Ein Fußabdruck – hinterlassen von jemandem, der versucht hatte, mit zwei, drei Sprüngen das Schneefeld zu überqueren. Er versuchte, die Distanz von einer Spur zur anderen mit einem weiten Schritt zu überbrücken; er musste sich strecken. Ein paar Momente lang blieb er stehen und versuchte, seine Sinne um die scharfe Kurve vorauszuschicken, um die das Schneefeld führte. Schließlich bückte er sich erneut, um einen weiteren Abdruck zu untersuchen.
    Aus dem Augenwinkel sah er die Gestalt um die Kurve herumrennen, doch es war zu spät. Bevor er sich aufrichten konnte, traf der Stiefel seine Wange, und er setzte sich hart auf den Hosenboden, schlitterte durch den Schnee und knallte mit dem Kopf gegen die Felswand. Einen lähmenden Augenblick lang dachte er, das Bewusstsein zu verlieren, dann kam der Schmerz, und er war wieder hellwach. Bis er sich aufgerappelt hatte, war der Angreifer bereits zurück um die Biegung gerannt. Cyprian hörte ihn über den Schnee hetzen.
    Taumelnd setzte er ihm nach. Er schmeckte Blut, wo er sich auf die Lippe gebissen hatte. Sein Kopf war eine einzige pochende Beule, in die jeder Schritt schoss wie ein weiterer Tritt. Cyprian hastete um die Biegung herum, machte einen Satz nach vorn und überschlug sich, kam rutschend wieder auf die Beine und fing sich mit beiden Händen an der Wand ab, die eine weitere scharfe Kurve zur anderen Seite hin beschrieb. Der Ruck fuhr ihm durch den Leib. Niemand hatte auf ihn gewartet, den er mit seiner Finte hätte überlisten können. Die Schritte des flüchtenden Angreifers hallten um die nächste Biegung herum.
    »Gottverflucht«, keuchte Cyprian.
    Er warf sich herum und stürmte weiter, im Schnee rutschend und stolpernd. Im nächsten Moment stand er in blendendem Sonnenschein. Sein Schwung trug ihn weiter, er kniff die Augen zusammen und sah einen Moment lang etwas wie eine natürliche Arena, zu der sich der enge Spalt abrupt erweiterte, fast rund, eingefasst von senkrechten Wänden; danach tanzten grelle Abbilder des Gesehenen in seinem Blickfeld herum und machten ihn fast blind. Keuchend blieb er stehen.
    »Ich bin nicht gut mit der Armbrust«, sagte eine hasserfüllte Stimme hinter ihm, »aber auf fünf Schritte würde ich so etwas Kleines wie einen Apfel treffen. Du stehst nur vier Schritte von mir entfernt, also … also …« Die Stimme verlor sich und schwieg.
    In Cyprians Kopf dröhnten Kirchenglocken. Über das Geläut hörte er eine zweite Stimme. Cyprian brauchte ein paar Augenblicke, bis er verstand, was sie sagte, denn ihr Besitzer sprach Lateinisch.
    »Hier gibt es mehr Felsspalten als geheime Kammern im Lateranpalast. Im Gegensatz zu der jungen Dame habe ich tatsächlich eine Armbrust, und wer immer von euch beiden als Erster eine Dummheit macht, ist tot. Dreht euch beide langsam um.«
    Cyprian drehte sich einmal um seine eigene Achse. Er sah die junge Frau, die ihn zuerst niedergeschlagen und dann bedroht hatte, eine hochgewachsene, robuste Gestalt in einem schmutzigen, dunklen Kapuzenmantel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ihre Hände hingen waffenlos an ihren Seiten herunter, und das Einzige, was sie verriet, war das kurze Ballen der Fäuste. Cyprian fühlte eine Welle aus Bewunderung und Liebe für sie hochschwappen und zugleich eine so plötzliche, faszinierende Fremdheit gegenüber einem Menschen, den er in- und auswendig zu kennen geglaubt hatte, dass beide Gefühle weder Platz ließen für die Erleichterung, dass Agnes am Leben und offenbar unverletzt war, noch für den Schock, dass sie beide von einem Dominikanermönch bedroht wurden, dessen Augen sie hinter dicken, halb blinden Brillengläsern über die Rinne einer Armbrust hinweg ins Visier genommen hatten.
    Er drehte sich vollends um. Der einzige Vorteil, den sie hatten, war der, dass der Dominikaner nicht wusste, dass er eigentlich zwei Verbündete vor sich hatte. Entsprechend wanderte die Armbrust ständig zwischen ihm und Agnes hin und her.
    »Stellt euch näher zusammen«, schnappte der Dominikaner.
    Cyprian hob die Hände, um ihm zu zeigen, dass keine Gefahr drohte. Dann ging er langsam

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