Die Teufelsbibel
aber seine Bestürzung konnte er nicht verbergen. Andrej dachte an den Mann, als dessen Agent Cyprian aufgetreten war – Bischof Melchior Khlesl. Er sah, wie Cyprian mit dem Verdacht kämpfte, dass sein Onkel ein doppeltes Spiel trieb. Auf ihrem Weg von Prag bis hierher hatte er Cyprian genügend Würmer aus der Nase ziehen können, um sich ein Bild von dessen Lage und den Absichten des Bischofs zu machen. Auch Bischof Khlesl verfolgte die ehrbare Absicht, die Teufelsbibel zu vernichten. Hatte er in Kauf genommen, Agnes zu gefährden, um dieses Ziel zu erreichen?
»Du bist Andrej von Langenfels«, sagte Agnes.
Andrej nickte.
»Yolanta hat von dir gesprochen. Sie hat mir den Mut gegeben, mir über meine Gefühle gegenüber Cyprian klar zu werden und zu dieser Erkenntnis zu stehen. Sie hat mir –«
»Sie ist tot«, sagte Andrej mit einem Mund voller Asche.
Zu seiner Überraschung kauerte sich Agnes neben ihn, nahm ihn in den Arm und begann zu weinen.
Andrej schossen die Tränen in die Augen. Die Armbrust wanderte aus und zielte auf einen Felsen fünf Meter neben Pater Hernando, doch der Dominikaner nutzte die Gelegenheit zur Flucht nicht einmal im Ansatz. Andrej spürte Agnes’ kräftige Umarmung, roch ihr Haar und fühlte ihre Wange an seiner, und er musste sich zusammenreißen, um nicht loszuheulen wie ein sterbender Wolf. Die Anstrengung drückte seine Kehle zusammen.
»Ich weiß«, schluchzte Agnes. »Cyprian hat es mir gesagt. Es tut mir so leid.«
»Es ist nicht deine Schuld.«
»Es ist die Schuld dieses verfluchten Buchs.«
»Das Buch ist nichts als eine Waffe. Waffen werden von Menschen benutzt. Nur, dass diese schon durch ihre bloße Existenz Unheil anrichtet und dass der, der sie verwendet, genauso ihr Opfer wird wie der, gegen den sie sich richtet.«
»Das ist die Natur des Bösen«, sagte Pater Hernando unerwartet. Der Dominikaner richtete sich auf, und Andrej versuchte, halb blind vor Tränen, die Armbrust auf ihn zu richten. Pater Hernando breitete die Arme aus.
»Wir haben dasselbe Ziel«, sagte er. »Wir müssen nicht Feinde sein.«
Andrej spürte, wie Agnes sich aufrichtete. »Du hast mich mit deinen beiden Brüdern vor dem Haus abgefangen, in dem ich gelebt habe – gerade als ich zu Boaventura Fernandes gehen und mir das Geld zurückholen wollte, das ich ihmaufgenötigt hatte, um für mich eine Fahrt in die Neue Welt zu organisieren. Du hast mich bis hierher geschleppt. Du hast mich die halbe Nacht durch diesen Wald gejagt. Du bist mein Feind.«
»Wir haben einen gemeinsamen Feind.«
»Wer wäre das?«
»Die Teufelsbibel und alle, die sie haben wollen.«
»Zum Beispiel die, die deine Glaubensbrüder auf dem Gewissen haben?«, fragte Cyprian.
»Zum Beispiel«, erwiderte Pater Hernando nach einer langen Pause.
»Du hast doch eine Vermutung.«
»Ja. Und wenn sie zutrifft, dann handelt es sich um den Mann, den ich ausgewählt habe, um die Teufelsbibel zu suchen.«
»Ein böser Mann?«, fragte Agnes.
Pater Hernando schüttelte den Kopf. »Du kannst ihn nicht in solchen Dimensionen messen. Ein Mann ohne jegliches Gefühl für seine Mitmenschen.«
Andrej starrte den Dominikaner an. Er spürte, wie sich eine eiskalte Woge in seinen Eingeweiden ausbreitete und über seine Beine hinunterkroch. »Pater Xavier«, sagte er.
Pater Hernando nickte.
»Er jagt uns jetzt?«
»Das wäre nicht das Schlimmste. Ich fürchte, er hat uns bereits überholt.«
»Also gut«, sagte Cyprian. »Wie es aussieht, sind wir im Augenblick Verbündete.«
Pater Hernando lächelte. Seine Augen hinter den wuchtigen, blinden Brillengläsern verformten sich, rannen auseinander und wieder zusammen. »Das Feuer wartet auf uns alle«, flüsterte er. »Aber wir werden das Vermächtnis des Bösen mit uns nehmen.«
Andrej und Cyprian wechselten einen Blick. Wir haben unseinen Verrückten als Gefährten angelacht, sagte Cyprians Miene. Andrej war sorgfältig bemüht, sich seine eigenen Gedanken nicht anmerken zu lassen.
»Ich laufe und hole den Wagen«, sagte er. Er sah in Agnes’ Augen und hörte sein Herz schlagen. Der Blick machte ihm mehr als alles andere klar, dass er dem richtigen Pfad folgte.
»Ich helfe dir«, sagte Cyprian.
»Nein«, sagte Andrej, ohne seine Lateinkenntnisse zu bemühen. »Willst du unseren vieräugigen Freund noch mal mit Agnes allein lassen? Er soll mit mir kommen. Wir treffen uns bei seinem Lager. Ihr könnt ja schon anfangen, die zwei armen Teufel zu beerdigen, die wir gefunden
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