Die Teufelsbibel
Xavier machte eine Bewegung, doch der Kardinal winkte ab.
»Jeder dient dem Herrn auf seine Weise, Pater«, sagte er. »Von 1555 bis 1560 intensive Studien der geheimen Archive der Bibliotheca Apostolica Vaticana , wo Sie sich mit dem Entwurf eines Regelwerks für den Zutritt zu den Geheimarchiven hervorgetan haben, das im Wesentlichen darin besteht, dass außer dem Papst und den Kardinälen so gut wie niemand hineindarf und das Papst Sixtus V. nach dem vollendeten Neubau der Bibliothek übernommen und noch verschärft hat.«Der Kardinal blickte auf. »Eine Regelung ganz in meinem Sinn, lieber Pater Xavier. Konsequenterweise heißt es, dass kaum jemand die dort vorgehaltenen Schriften so gut kennt wie Sie. In den Jahren von 1560 bis 1566 Assistent des Erzbischofs von Madrid – gab es da nicht einen kleinen Skandal, weil der Bruder des Erzbischofs mit einem Wiener Kaufmann Geschäfte für den Königshof machte, obwohl König Philipp die Weisung ausgegeben hatte, nur spanische Lieferanten dürften den Hof beliefern?«
»Seine Ehrwürden fand heraus, dass ein Buchhalter seines Bruders dies in aller Heimlichkeit getan hatte; der Buchhalter wurde bestraft«, sagte Pater Xavier sanft.
»Richtig, der Buchhalter seines Bruders. Erstaunlich, wie so ein Buchhalter herausfinden konnte, welche Güter zu Anlässen benötigt wurden, von denen eigentlich nur der Erzbischof und König Philipp selbst wussten.«
Pater Xavier lächelte und neigte den Kopf, um anzudeuten, dass es tatsächlich erstaunlich war, was so ein Buchhalter alles herausfinden konnte.
»Hat sich der Mann nicht auf ganz merkwürdige Art und Weise im Kerker das Leben genommen, bevor es zur Gerichtsverhandlung kam? Na, egal. Von 1567 bis 1568 waren Sie der Beichtvater von Don Carlos, dem Infanten von Spanien; nach dem bedauerlichen Unglücksfall, der zum Tod des Infanten führte, Beichtvater des jungen Erzherzogs Rudolf von Österreich während dessen Aufenthalt am Hof unseres allerkatholischsten Königs Philipp in Madrid und dann in Wien bis zum Jahr 1576, in welchem aus dem Erzherzog Rudolf der Kaiser Rudolf wurde. Nach Ihrer Rückkehr aus Wien Assistent des Bischofs von Espiritu Santo in Mexico und mitverantwortlich für die Erfolge des dortigen Tribunal del Santo Oficio de la Inquisicion bis 1585. Danach taucht Ihr Name immer wieder in verschiedenen Chroniken in Spanien auf. Derzeit helfen Sie dem Generalvikar von Toledo beim Tragen seinerschweren Bürde, das Amt des Erzbischofs auszufüllen.« Kardinal de Gaete lehnte sich zurück. Er hatte nicht ein einziges Mal nachdenken müssen, um sich die Fakten in Erinnerung zu rufen. »Erkennen Sie sich wieder, Pater Xavier?«
»Euer Eminenz Kenntnisse sind lückenlos«, sagte Pater Xavier und verwendete den verhassten Titel ganz bewusst.
»Ein Mann mit Ihrer Erfahrung und Ihrem Alter sollte eigentlich einen hohen klerikalen Rang bekleiden und nicht nur Berater von Bischöfen und Kardinälen sein.«
»Meine Aufgabe ist der Dienst an der katholischen Kirche.«
Kardinal de Gaete musterte Pater Xaviers Gesicht eine ganze Weile. »Sie müssen wieder an den Hof von Kaiser Rudolf«, sagte er, »nach Prag.«
Pater Xavier sah das bleiche, hohlwangige Gesicht von Erzherzog Rudolf vor sich, aus dem ihm täglich der sture, mühsam unterdrückte Hass des schwächeren, unsichereren Geistes entgegengeschlagen war, ein Hass, hinter dem sich ein noch mächtigeres Gefühl zu verstecken versuchte: Angst. Rudolf war nun seit fast fünfzehn Jahren Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Seit Pater Xavier ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Rudolf von Habsburg, wie man hörte, eine Reise in die Dunkelheit des Aberglaubens, in den Irrwitz der Alchimie und in den beginnenden Wahnsinn angetreten. Das Reich taumelte unter seiner Führung zwischen Glaube und Ketzerei dem Abgrund entgegen. Pater Xavier hatte bereits nach der ersten Begegnung gewusst, dass die Dämonen von Macht, Verantwortung und eigener Unzulänglichkeit Rudolf zwischen sich zerreiben würden. Es war fast erstaunlich, dass er nicht schon vor zehn Jahren komplett wahnsinnig geworden war.
»Der Mann hasst mich«, sagte Pater Xavier unerwartet direkt.
»Kaiser Rudolf hasst alles, was mit der katholischen Kirche zu tun hat«, zischte Kardinal Madruzzo. »Was mit den Protestanten zu tun hat, hasst er auch. Ebenso die Muselmanen. Das Einzige, was er liebt, sind die Alchimie und seine Kuriositätensammlung; die Einzigen, auf die er hört, sind die Astronomen, die an
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