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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Schnitters. Er starrte in das Gesicht, das sich vor seines geschoben hatte, halbblind von der Kerzenflamme, und sah trübe Augen, deren untere Lider so weit herabhingen, dass das Rote hervorschimmerte, teigige, schlaff hängende Fettbacken, auf denen die Bartstoppeln sprossen wie Schimmel, eine lange Hakennase und eine schwere Unterlippe, die in das Bartgestrüpp am Kinn hing und feucht glänzte. Andrej fühlte auf einmal eine Art großer Leere in sich, wie an dem Tag, an dem der erschossene Mönch vor ihm zusammengebrochen war und Reflexe seinen Körper übernommen hatten, weil sein Geist sich vorübergehend aus dem Geschehen verabschiedet hatte.
    »Ich will Majestät eine Geschichte erzählen«, hörte Andrej sich flüstern. »Mein Name ist Andrej von Langenfels, ich bin ein Nichts und ein Niemand, und ich kann weder Dämonen zitieren noch Bilder in Spiegeln zeigen. Aber ich kann Majestät eine Geschichte erzählen, eine Geschichte mit einem Rätsel darin, und wenn Majestät das Rätsel lösen können, erlösen Majestät auch meine Seele.«
    »Nicht einmal die Priester können eine Seele erlösen«, sagte Kaiser Rudolf. »Alles, was sie bieten, sind Lügen.«
    »Ich biete eine Geschichte«, sagte Andrej. »Und ich biete die Erlösung meiner Seele.« Seine Hände bewegten sich wie von selbst in sein Wams, der Druck der Schwertklinge verstärkte sich, aber Andrej hatte das Medaillon schon hervorgeholt und hielt es ins Licht der Kerzenflamme. »Hiermit endet meine Geschichte«, sagte er, »doch ich bin überzeugt, dass sie hiermit auch beginnt. Und das ist auch schon das Rätsel. Wollen Majestät meine Geschichte hören?«
    Das Gesicht des Kaisers zog sich aus dem Lichtschein zurück. Die Schwertklinge drückte weiter gegen Andrejs Kehle. Die Leere in seinem Inneren begann sich wieder mit Leben zu füllen, und Andrej schien es, als würde er jetzt erst wahrnehmen, was er getan hatte. Seine ausgestreckte Hand mit dem Medaillon hing in der Dunkelheit. Sie begann zu zittern.
    Plötzlich war der Druck der Klinge verschwunden. Der Parkettboden knarrte und knisterte. Die Kerzenflamme zog sich zum Bett zurück. Etwas polterte auf den Boden; es hörte sich wie ein achtlos fallen gelassenes Schwert an. Das Bett ächzte.
    »Komm her, mein Sohn«, sagte die Stimme aus den Schatten unter dem Baldachin. »Ich will deine Geschichte hören.«
    Eine Stunde später öffnete Andrej die Tür, die von der Schlafkammer des Kaisers zum Antichambre führte. Fünf Augenpaare starrten ihn an. Er senkte den Blick und fand das letzte, hervorquellende Augenpaar. Der Zwerg nickte, und Andrej nickte zurück. Er schlüpfte nach draußen und schloss die Tür vorsichtig hinter sich.
    »Seine Majestät schlafen«, sagte er und hörte seine eigene Stimme wie ein heiseres Flüstern. »Majestät wünschen in zwei Stunden geweckt zu werden. Bis dahin soll ein heißes Bad zur Verfügung stehen sowie der kaiserliche Bader, und die Mägde sollen die Vorhänge abnehmen und das Bett abziehen und alles verbrennen. Danach wünschen Seine Majestät zu speisen.«
    Lobkowicz schüttelte den Kopf. Die anderen bewegten die Münder wie die Fische.
    »Ich weiß nicht, was du getan hast, mein Junge, aber wir sind dir alle dankbar«, sagte Lobkowicz.
    »Ich weiß es auch nicht«, sagte Andrej. Er sah Lobkowicz ins Gesicht und versuchte zu grinsen, aber seine Gesichtsmuskeln verweigerten den Dienst. »Aber die Anrede ist nicht mehr ›mein Junge‹, sondern fabulator principatus .«
    Der Oberstlandrichter stierte ihn an. Andrej erinnerte sich, wie er und der Reichsbaron auf der Treppe ganz trocken darüber beratschlagt hatten, ob sie Andrej zur Belustigung des Kaisers vor dessen Augen zu Tode schinden sollten. Plötzlich funktionierten seine Gesichtsmuskeln doch; er begann zu grinsen und wandte sich Rozmberka zu. »Nach dem Essen wünschen Seine Majestät eine willige Möse. Oder machen Sie besser drei Mösen daraus, nicht wahr, mein lieber Rozmberka?«
    Dann schnippte er Lobkowicz ein taubeneigroßes, schwarzes Ding zu, das er in der Hand gehalten hatte. Der Oberstlandrichter fing es unwillkürlich auf. »Ach«, sagte er, »die Nuss hat sich gefunden. Sie lag unter dem Kopfkissen Seiner Majestät. Sie kümmern sich doch darum, mein lieber Lobkowicz?«
    5
    Cyprian kam taumelnd auf die Beine. »Keine Sorge«, keuchte er über die Schulter. Er zog Agnes an der Hand mit sich, während er durch das Feld aus geworfenen Steinen und zerschlagenem katholischem Stolz stolperte.

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