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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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umzuschlagen.
    »Verschwindet«, sagte sie. »Packt euch, ihr Gesindel!« Sie hatte ihre Mutter dasselbe sagen hören, wenn Dienstboten einmal wieder die Anforderungen des Wiegant’schen Haushalts nicht erfüllt hatten. Sie hatte nie erlebt, dass die Gescholtenen auch nur halbwegs aufbegehrt hätten.
    »Jetzt weiß ich, woher ich die Schlampe kenne!«, rief einer der einfacher gekleideten jungen Männer plötzlich. »Die ganze Zeit war mir schon so, als ob –«
    »Was willst du damit sagen, du Trottel?«, fragte der Anführer.
    »Meine Mutter hat in ihrem Haus gearbeitet, als ich noch kleiner war«, sprudelte der junge Mann hervor. »Im Haus ihrer Eltern, meine ich. Ihre Mutter hat meine Mutter rausgeschmissen! Das sind gottverdammte Katholikenschweine, Ferdl, die schlimmsten von allen! Meine Mutter ist nur rausgeschmissen worden, weil ihr Miststück von Mutter«, er zeigte hasserfüllt auf Agnes, »rausbekam, dass meine Mutter einer protestantischen Predigt zugehört hat.«
    »Warst du vielleicht mal ’n Katholikenbastard?«, fragte einer der anderen und grinste den Sprecher an.
    »Meine Mutter und ich sind konvertiert, also reg mich bloß nicht auf, du Narr! Da, kümmert euch um die Schlampe, nicht um mich!«
    Der Anführer der Wegelagerer musterte Agnes. Sie gab seinen Blick mit zusammengebissenen Zähnen zurück und schluckte, als er seine Augen ungeniert an ihr abwärtswandern ließ. Sie hatte das Gefühl, eine breite, schleimige Zunge striche über ihren Leib.
    »Das riecht nach Entschädigung«, sagte der Mann. »Mein Freund hier ist arm, seit deine Mami seine Mami an die Luftgesetzt hat. Wer arm ist, hat keine Chancen bei den Weibern. Ich schlage vor, du lässt ihn ein bisschen ran, um das wiedergutzumachen.«
    »Sind wir nicht alle arm?«, sagte einer. Die anderen lachten. Sie schienen Cyprian vergessen zu haben.
    »Dazu wollte ich gerade kommen«, sagte der Anführer und drehte sich um, um seinen Kumpanen zuzuzwinkern.
    Agnes fühlte sich beiseitegeschoben. Cyprian stolperte vorwärts.
    »Jetzt reicht’s«, stieß er hervor. »Macht, dass ihr wegkommt, sonst –« Er schrie plötzlich auf und brach in die Knie. Eine Hand fuhr unter seine Achsel. »Aah, verdammt, tut das weh!«, schrie er. Er fiel zur Seite, und zu Agnes’ vollkommenem Entsetzen begann er sich zu winden und zu stöhnen: »Die Beule ist aufgeplatzt, ihr Mistkerle! Herrgott, tut das weh! Holt mir einen Arzt, gottverdammt, holt mir einen Arzt, ich halt’s nicht aus! Die Beule, die gottverdammte Beule!«
    Der Anführer der Wegelagerer drängte seine Männer mit ausgestreckten Armen zurück. Er war bleich geworden.
    »O Kacke, das Schwein hat die Pest«, flüsterte einer.
    Der erste der Wegelagerer drehte sich um und rannte ohne ein weiteres Wort davon. Die Lippen des Anführers arbeiteten. Bilder eines sterbenden Cyprian, der sich vor Schmerzen schreiend auf seinem Lager wälzte, stiegen in Agnes hoch, Bilder eines toten Cyprian auf einem Karren, von Kalk überstäubt, Bilder eines Leichnams, der in eine Pestgrube kugelte, ein Bild von sich selbst, wie sie aus der Stube ihres Hauses auf die Kärntner Straße hinausschaute und wusste, dass sie die bullige Gestalt ihres Freundes nie mehr darüber hinweg schreiten sehen würde, in seinem Gesicht die übliche Mischung aus Neugier, leisem Spott und Aufmerksamkeit; wusste, dass sie nie mehr die leichte Berührung an der Schulter spüren würde, wenn er in einer Menschenmenge plötzlich hinter ihr stand und eine leise Bemerkung machte, die siezum Lachen brachte; wusste, dass sie nie mehr dieses seltsam vibrierende Gefühl haben würde, wenn sie bemerkte, dass er sie von der Seite her ansah und für einen Moment die Kontrolle über das Funkeln in seinen Augen vergaß; erkannte, dass sie die ganze Zeit über ihre Emotionen ihm gegenüber falsch eingeschätzt hatte, so wie sie seine Emotionen völlig unterschätzt hatte.
    FLIEH!, schrie ihr Selbsterhaltungstrieb.
    Bleib, sagte ihr Herz sanft.
    Der Widerspruch ihrer Emotionen ließ ihren Körper erstarren. Der Ausruf des Wegelagerers schrillte in ihren Ohren: Die Pest! Die Pest! DIE PEST!
    ER IST VERLOREN! RENN, SO SCHNELL DU KANNST!
    Bleib!
    Beide Stimmen in ihren Kopf waren gleich mächtig. Sie starrte auf die stöhnende Gestalt hinunter; nie hätte sie gedacht, Cyprian jemals in einer solchen Lage zu sehen.
    »Gottverfluchte Scheiße!«, schrie der Anführer der Wegelagerer und warf sich herum. Die Männer begannen zu flüchten.
    Plötzlich

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