Die Teufelshure
Einwanderer fungierten. Hier zu wohnen hieß, dass man zu den Niedrigsten der Gesellschaft gehörte, aber John erschien es allemal besser, als noch einmal in Edinburgh für ein paar Shillings bei einer armen Familie Unterschlupf zu finden, die in dem einzigen Raum, den sie bewohnte, auch noch Betten für Fremde vermietete.
Nachdem er vor drei Jahren seinen Dienst bei der Armee der Königstreuen quittiert hatte, um sich in Edinburgh nach einer anständigen Arbeit umzusehen, war er zunächst bei einem Haufen verarmter Lowlander untergekrochen. Die Beadles, Vater, Mutter, Großmutter und sechs Sprösslinge, wohnten in einem Keller der bis zu zwölfstöckigen Tenements in der unteren Kings-Close. Trotz ihrer Armut – oder vielleicht eher deshalb – hatten ihn die Beadles mit Freuden in ihrem überaus bescheidenen Heim aufgenommen. Dabei hatten sie keinerlei unangenehme Fragen gestellt. Es schien ihnen gleichgültig zu sein, ob er als politisch verfolgt galt oder sonst irgendetwas verbrochen hatte. Hauptsache, er zahlte pünktlich seine Miete. Für diesen Vorteil hatte er sogar den Umstand in Kauf genommen, fortan mit neun Menschen zwei winzige Zimmer zu teilen, was ihm bisweilen nicht einfach erschienen war. Nicht dass er etwas gegen schreiende Kinder gehabt hätte, aber als alleinstehender Mann allabendlich aus nächster Nähe jenem Akt beizuwohnen, in dem sie gezeugt wurden, störte ihn schon.
Als weitaus schlimmer hatte sich jedoch die Tatsache erwiesen, dass man als Mitbewohner im Falle einer Epidemie mit der gesamten Familie in Quarantäne geriet. Als die Pest ausbrach, hatte John den Beadles beim Sterben zugesehen. Einen nach dem anderen hatte es erwischt. John hatte den übriggebliebenen Säugling mit einer Flasche gestillt und Großmutter Beadle, die als Letzte der Familie dahingegangen war, die faltigen Lider zugedrückt.
Ein Schaudern erfasste ihn, als ihre Gesichter in seiner Erinnerung auftauchten, und schnell bemühte er sich, an etwas anderes zu denken. Während seine rechte Hand im dürftigen Schein einer Talglampe mit jenem kleinen weißen Kärtchen aus Büttenpapier spielte, das Madlen MacDonald ihm am Nachmittag zugesteckt hatte, überlegte er, wie es wäre, wenn sie weich und warm neben ihm liegen würde.
Das Kärtchen duftete intensiv nach Madlens kostbarem Parfüm, und für einen Moment schloss John die Lider und sog genießerisch den blumigen Duft ein.
Die Vorstellung, einer solchen Frau mit Haut und Haaren ergeben zu sein, erregte ihn, und er konnte Stratton verstehen, dass er ihr offenbar verfallen gewesen war und ihr den Hof gemacht hatte. Auch wenn sie selbst behauptete, ihn nicht wirklich gekannt zu haben. Eine Schutzbehauptung – vielleicht.
Teufelshure! Paddys Bemerkung wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Je mehr er darüber nachdachte, umso weniger vermochte er sich vorzustellen, dass dieser Begriff tatsächlich auf Madlen zutreffen konnte. Schon gar nicht, dass dieses Mädchen mit dem Satan gemeinsame Sache machte und die Braut eines heimtückischen, alternden Mörders sein sollte.
Er musste Madlen wiedersehen, und wenn es allein darum ging, die Wahrheit über sie herauszufinden. Obwohl ihm seine innere Stimme dringend davon abriet, sich – in welcher Weise auch immer – mit ihr einzulassen. Es sei denn, er wollte enden wie Stratton; baumelnd an einem Strick, den Bauch aufgeschlitzt mit heraushängenden Eingeweiden.
Madlen lebte allein – so waren ihre Worte gewesen. Also war sie unverheiratet. Dass Cuninghame eine Bedeutung in ihrem Leben spielte, war wohl nicht von der Hand zu weisen. Aber welche? Vielleicht ließ sie sich von ihm aushalten. Dabei schien sie nicht der Typ Frau zu sein, dem John so etwas zugetraut hätte. Ihr Blick war der einer stolzen Highlanderin. Es musste also einen triftigen Grund geben, warum sie sich Cuninghames respektlose Art gefallen ließ. Allem Anschein nach sehnte sie sich trotz der Aufmerksamkeiten dieses alternden Lords nach der Zuwendung eines jüngeren Mannes.
John stellte sich die Frage, ob hinter ihrer Einladung, ihn wiederzusehen, vielleicht nur der Wunsch nach einem amüsanten Abenteuer steckte. Trotz all seiner Vorbehalte dachte er darüber nach, es selbst herausfinden zu wollen. Dabei schien es ihm angezeigt, zunächst weitere Erkundigungen über Madlen einzuziehen. Doch wo sollte er beginnen? Bei Paddy? Nein. John würde den raubeinigen Iren nicht zu Rate ziehen – aus dem gleichen Grund, warum er darauf verzichtet
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