Die Teufelshure
alleingelassen. Gleich morgen früh würde sie mit Alex telefonieren und ihm ihre spektakulären Ergebnisse durchgeben. Danach wollte sie ihren Vater anrufen. Nicht, um ihm von den Entdeckungen ihres Bruders zu erzählen, sondern weil sie ihm ein paar Details aus ihrer familiären Vergangenheit entlocken wollte – was nicht eben leicht werden würde. Er sprach nicht gern über ihre Mutter und deren Eltern und Großeltern, die längst nicht mehr lebten und die Lilian nie kennengelernt hatte. Aber immerhin war ihre verstorbene Mutter angeblich eine waschechte MacDonald gewesen, und wer wusste es schon, vielleicht gab es tatsächlich eine Vorfahrin, die auf so grausame Weise gestorben war. Grund genug, ihren Vater endlich zum Reden zu bringen.
»Sie hat also angebissen«, sagte eine düstere Stimme.
Robert von Stahl schrak herum, als er das Wohnzimmer seines Münchner Apartments betrat. Im fahlen Schein einer Straßenlaterne, die durch das einzige Fenster hereinleuchtete, erkannte er eine ganz in Schwarz gehüllte Gestalt, die in seinem Fernsehsessel Platz genommen hatte. Das seltsame Auftreten des Eindringlings ließ Robert erahnen, dass es sich bei dem Mann um Bruder Mercurius handeln musste, jenes geheime Oberhaupt der Panaceaer, das sich nur ganz wenigen Eingeweihten zeigte.
»Wie sind Sie hier hereingekommen?«, fragte Robert barsch.
Der Mann hob den Kopf, und im Zwielicht wirkten seine faltigen Gesichtszüge wie die eines Warans, der jeden Moment seine gespaltene Zunge hervorschnellen lassen würde.
»Eine unserer leichtesten Übungen, Bruder Robert, das solltet Ihr eigentlich wissen.« Beiläufig lenkte Bruder Mercurius seinen Blick in eine andere Ecke des Raumes, und aus der Dunkelheit traten zwei breitschultrige, ganz in Schwarz gekleidete Gestalten hervor.
»Ich hatte Hilfe«, erklärte ihr Befehlshaber in einem selbstgefälligen Ton. »Und außerdem, verehrter Bruder, wollte ich die guten Neuigkeiten mit Euch teilen. Euer Sohn war mit seiner Mission anscheinend erfolgreich.«
»Woher wissen Sie, dass Lilian mich angerufen hat? Hören Sie mein Telefon ab?« Robert konnte sich denken, dass es Lilians gestriger Anruf war, der Bruder Mercurius höchstpersönlich auf den Plan gerufen hatte. Dabei hatte sie nichts über den wahren Grund ihres Anrufs erzählt, nur dass sie mehr über ihre Familie wissen und dem Grab ihrer Mutter einen Besuch abstatten wolle. Robert war vorbereitet, obwohl er immer noch nicht glauben konnte, was da gerade geschah. Schon gar nicht, welche Auswirkungen die ganze Angelegenheit auf seine Familie haben würde. Wie mit der Bruderschaft der Panaceaer verabredet, hatte er Lilian die Adresse von Onkel Fred gegeben, einem Cousin ihrer Mutter, der in den Westhighlands lebte und bei dem sie vor Jahren einmal die Ferien verbracht hatte.
»Selbstverständlich überwachen wir Euren Telefonanschluss und Eure Mobilnummer«, bemerkte Mercurius mit einem unseligen Grinsen. »Dazu kontrollieren wir sämtliche Internetzugänge und Euren E-Mail-Verkehr, sowohl privat als auch dienstlich.«
»Und was ist mit dem Klo?«, fragte Robert verärgert. »Bin ich selbst dort Euer ergebenster Diener?«
Robert von Stahl würde sich niemals daran gewöhnen können, dass die Eingeweihten der Bruderschaft sich untereinander in der dritten Person ansprachen und in E-Mails und Briefen die altertümliche Schlussformel »Ihr ergebenster Diener« verlangten. Eine Angewohnheit, die sie aus den letzten Jahrhunderten herübergerettet hatten und die ihnen wohl das Gefühl von Heimat vermitteln sollte, obwohl sie in Roberts Augen nichts anderes als Monster waren, bei denen nur die uneingeschränkte Macht des Profits zählte.
»Ihr habt Eure Seele verkauft …«, knurrte Mercurius mit boshafter Miene. Robert gruselte sich vor dem Alten. Er konnte offenbar Gedanken lesen, und er hatte noch andere Talente, die sich jeglicher wissenschaftlicher Erklärung entzogen. Die Neugier, hinter dieses Geheimnis zu kommen, hatte Robert nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die persönliche Freiheit seines irdischen Daseins gekostet.
»… und einen anständigen Preis erhalten. Vergesst das nicht!«, schloss Mercurius.
»Den Tod meiner Frau«, erwiderte Robert bitter. »Und das scheint nur der Anfang zu sein. Reicht es nicht, dass ihr meinen Sohn mit in die Sache hineingezogen habt? Muss es jetzt auch noch meine Tochter sein?«
Mercurius erhob sich mühsam. Für einen Unsterblichen bewegte er sich wie ein
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