Die Teufelshure
altersschwacher Greis. Doch dass dies alles nur Fassade war, hatte von Stahl schon am eigenen Leib erfahren. Mercurius besaß die genetische Wandlungsfähigkeit eines Chamäleons. Binnen Sekunden konnte er die Gestalt jeder Person annehmen, mit der er schon einmal in Berührung gekommen war.
»Eure Frau war nicht gehorsam und hat ihren Tod dadurch selbst verschuldet«, erklärte Mercurius. »Bei Euren Kindern hoffe ich auf mehr Kooperationsbereitschaft. Schließlich sind wir nicht ohne Grund so etwas wie ein Familienunternehmen.«
Robert fehlten die Worte. Er wusste längst nicht mehr, wie er dieser Hydra entkommen konnte, und dass mit Lilian nun auch noch seine Tochter ins Fadenkreuz der Bruderschaft geraten war, erschütterte ihn mehr, als er zugeben wollte. Bisher hatte er sie aus all seinen unseligen Kontakten heraushalten können.
»Warum Lilian?« Seine Stimme brach beinahe vor Verzweiflung. »Kann es nicht eine andere junge Frau sein, die Sie für Ihre üblen Zwecke missbrauchen?«
Mercurius kam näher und sah ihm mit seinen unnatürlich hellen Augen direkt ins Gesicht. Dann lachte er und schüttelte den Kopf. »Ihr seid nichts weiter als ein bedauernswerter Narr«, stieß er mit heiserer Stimme hervor. »
Sie
ist das mystische Kind, jene gezeichnete Seele, auf die wir seit mehr als dreihundert Jahren gewartet haben. Erst seit wenigen Wochen ist es gewiss, dass nur sie den Auftrag erfüllen kann. Nur wer reinen Herzens ist, wird das Schwert aus dem Fels der Tugend herausziehen können. Obwohl die Formel bei uns etwas anders lautet: Nur wer reinen Herzens ist, wird unseren intimsten Feind endlich vernichten können.«
»Ich habe nie verstanden, was das bedeuten soll.« Robert warf dem Alten einen verächtlichen Blick zu. »Bei allem Respekt, den ich Ihren wissenschaftlichen Errungenschaften entgegenbringe, frage ich mich, wozu dieser ganze Hokuspokus dienen soll, den Sie und Ihre Bruderschaft ständig veranstalten.«
Mercurius verzog das Gesicht. »Ihr wisst, dass wir mächtige Gegner haben. Und um sie beseitigen zu können, benötigen wir einzig und allein Eure Tochter. Nur sie vermag es, das Vertrauen eines ganz bestimmten Mannes zu gewinnen, und das nur, weil sie noch nicht einmal ahnt, dass sie in dieser überaus heiklen Operation ihren Einsatz findet. Wenn sie es wüsste, würde ihr Opfer es spüren, und alle Chancen auf einen Sieg wären vertan.«
Robert von Stahl sah ihn unwillig an. »Meine Tochter ist keine ausgebildete Agentin. Sie ist Molekularbiologin und kann weder mit Waffen umgehen, noch besitzt sie taktisches Geschick. Dazu ist sie der ehrlichste und warmherzigste Mensch, den ich kenne. Sie ist ja noch nicht mal in der Lage, eine Laborratte zu töten, geschweige einen Menschen.«
»Wer sagt denn, dass wir ihn töten wollen? Lilian soll uns lediglich dazu verhelfen, ihn endlich einfangen zu können. Wenn wir ihn erst in unserer Hand haben und das ›Caput Mortuum‹ an ihm vollziehen können, werden wir es auch schaffen, den Rest seiner Mannschaft in unsere Dienste zu stellen. Durch ihn werden sich uns sämtliche Strukturen seines geheimen Zirkels offenbaren. Allein durch diesen Mann haben wir über die Jahrhunderte horrende Verluste hinnehmen müssen. Erst letzte Woche hat seine Organisation in Edinburgh fünf unserer besten Leute getötet. Er ist und bleibt eine Gefahr für unsere Bruderschaft, und das können wir nicht länger hinnehmen.«
»Und einen solchen Kerl soll meine Tochter verführen?« Robert ballte die Fäuste. »Ich glaube ernsthaft, Sie sind nicht ganz bei sich!«
»Ihr seid auch nicht gerade ein Engel, lieber Professor. Vergesst niemals, dass es zu meinen Gaben gehört, die Gedanken anderer Menschen zu erspüren. Und jetzt gerade überlegt Ihr Euch, wie Ihr es anstellen könnt, mich zu töten. Habe ich recht?«
Robert schluckte verlegen. Um seine Gedanken zu erraten, musste man nicht der Teufel persönlich sein. Jeder andere hätte das auch vermutet.
»Ich habe Angst um meine Tochter«, gestand er leise. »Wenn der Mann, auf den sie angesetzt werden soll, so gefährlich ist, dass selbst die allmächtige Bruderschaft sich vor ihm fürchtet, was würde er dann mit Lilian anstellen, wenn er erfährt, dass sie eine Agentin ist, die ihn in die Fänge der Panaceaer treiben soll?«
»Das ist ja gerade der Punkt«, ergänzte Mercurius mit einer jovialen Geste. »Er hat eine gewaltige Schwachstelle. Er sehnt sich nach einer ganz speziellen Gefährtin, die er vor gut
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