Die Teufelshure
den teuer gekleideten Mann, der mit einer Aktentasche auf einen silberfarbenen gepanzerten Maibach zumarschierte.
John visierte den Kerl und zielte auf sein Herz. Es musste schnell gehen. Der Schuss würde das Spezial-Projektil, gegen das es keinen wirksamen Schutz gab, mitten im Muskel positionieren und dort innerhalb von Sekunden eine kleine Explosion verursachen, die vorübergehend den Herzmuskel lähmte. Es würde den Mann nicht töten, aber zu absoluter Bewegungslosigkeit verurteilen. Johns Kameraden würden Earthorpes Bodyguards übernehmen. Danach mussten die acht bis zehn lebenden Körper in einen Van verladen werden. Dieser Teil der Aktion hatte etwas von einer spektakulären Zaubershow in Las Vegas, weil man die Männer spurlos und ohne Zeugen verschwinden lassen musste.
John drückte den Abzug. Es machte noch nicht einmal Plopp. Lautlos verselbstständigte sich das Hochgeschwindigkeitsprojektil. Das weiße Hemd des Mannes färbte sich in Bruchteilen von Sekunden rot, und noch während er zu Boden fiel, brach ein regelrechter Tumult aus. Die umherstehenden Hotelpagen zückten Pistolen. Nur am Zucken ihrer Arme konnte man den Rückschlag erkennen, nachdem sie auf Earthorpes Aufpasser geschossen hatten. Ein Taxi-Van fuhr vor. Plötzlich versank alles im rötlichen Nebel.
»Vollzug!«, keuchte jemand in Johns Ohr.
Von hier oben konnte man lediglich ahnen, dass Earthorpe und seine reglosen Bodyguards bereits von einem Wagen aufgenommen worden waren.
»Mach das Fenster zu und lass uns abhauen!«, rief Paddy, dem die Aufregung anzusehen war.
John senkte erst jetzt das Gewehr. Wie in Trance zerlegte er die Waffe und verstaute die einzelnen Teile wieder in der Tasche. Dann ging er ins Bad, wusch sich die Hände und trank einen Schluck. Einen Moment lang starrte er in den Spiegel und fuhr sich mit noch feuchten Fingern über die rötlichen kurzgeschnittenen Haare. Zwei moosgrüne Augen starrten zurück. Ansonsten konnte er keine Regung verzeichnen. Seine Mimik zeigte weder Angst noch Triumph und erst recht keine Trauer.
»Komm endlich!«, mahnte Paddy. »Die Zeit läuft uns davon. Der Helikopter wird nicht auf uns warten!«
»Ja, gleich.« Johns Stimme klang, als hätte man sie mit einem Reibeisen behandelt. Die typische Stimme eines schottischen Highlanders eben, dessen Vorfahren so oft erkältet gewesen waren, dass sich der raue Unterton in der Kehle sogar auf die Stimmbänder der Nachfahren übertragen hatte. John ging ohne Eile hinaus. Er wusste, dass sie nach außen hin keinerlei Hektik zeigen durften, wenn sie sich nicht verdächtig machen wollten, und dass der Helikopter nur im äußersten Notfall ohne ihn starten würde.
Als sie an der Concierge vorbeigingen und ihr den Schlüssel auf die Rezeption legten, schlang John rasch einen Arm um Paddys Hals und zog ihn zu sich heran. Ohne Ankündigung küsste er den völlig verdutzten Iren auf den Mund. Dann zwinkerte er die Concierge an. »Eure Lederpeitschen sind erste Sahne. Mein kleiner Freund konnte gar nicht genug davon bekommen.« John grinste Paddy frech ins Gesicht. »Wir werden wiederkommen, nicht wahr, Schatz?«
Bevor Paddy etwas entgegnen konnte, hatte John die behaarte Pranke des Iren gepackt und ihn händchenhaltend zum Ausgang gezerrt.
Lilian gab Gas und raste mit ihrer BMW kurz nach Glenfinnan eine Anhöhe hinauf. Danach legte sie sich gleich in die nächste Kurve, so schräg, dass ihr linkes Knie beinahe den Boden berührte. Einen Moment lang spürte sie, wie sich ihr Herzschlag zu einem berauschenden Glücksgefühl beschleunigte, als sie die Maschine wieder aufrichtete und pfeilschnell auf eine Gerade schoss.
Netty, die Blumenhändlerin, hatte ihr keine bestimmte Adresse gegeben, was hier oben auch kaum möglich gewesen wäre. Mugan Manor, wie das Anwesen hieß, von wo aus die Blumen bestellt worden waren, lag am äußersten Zipfel von Loch Moidart, dort, wo es noch nicht einmal richtige Straßen gab.
Es ist wohl das einzige Herrenhaus weit und breit. Man kann es gar nicht verfehlen, hatte die Blumenhändlerin noch gesagt.
Das Wetter war herrlich, nicht zu kalt, nicht zu warm, und immer wieder durchbrachen Sonnenstrahlen die dahinziehenden Wolken, die das archaisch wirkende Umland mit einer perfekten Mischung aus Licht und Schatten belegten. Einsamkeit war in dieser Gegend Gesetz, und wer endlich einmal mit sich und der Welt allein sein wollte, war nirgendwo besser aufgehoben. Lilian versuchte sich vorzustellen, wie es wohl ein
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