Die Teufelshure
und einen weißen Kittel. Kurz darauf spürte sie einen schmerzhaften Einstich in ihrer Armvene.
Schwach kehrte ihre Erinnerung zurück. Es war das zweite Mal, dass ihr jemand eine Injektion verabreichte.
»Nein!«, stieß sie heiser hervor und spürte, wie sie sich in eine Panik hineinsteigerte. »Hilfe!« Hechelnd versuchte sie durch den Mund zu atmen. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Ihre Hände und Füße wurden taub. Den Einstich spürte sie kaum noch.
»Was zur Hölle ist hier los?« Eine dunkle, raue Männerstimme brüllte quer durch den Raum. Der Kerl über ihr zuckte zusammen und zog vor Schreck die Injektionsnadel heraus. Die Stimme des Mannes kam ihr bekannt vor. Verschwommen nahm Lilian ein neues Gesicht über sich wahr. Es hatte Augen so grün wie ein Pinienwald, und sein weicher Mund sprach intensiv auf sie ein, doch sie hörte nichts mehr.
»John?«, flüsterte sie ungläubig. Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.
John brüllte so laut, dass ihm die Halsvenen anschwollen. Dann riss er den Quarantäneassistenten von Lilian fort und stieß ihn heftig zur Seite. Der Mann schlug mit dem Rücken gegen die Wand und rutschte mit geschlossenen Lidern an den Kacheln herunter, bis er am Boden sitzend in sich zusammensackte. Für einen Moment befürchtete John, er habe ihn umgebracht. Kyle Ritchie, so hieß der Mitarbeiter, kam kurz darauf wieder zu sich und schüttelte seine blonde Mähne. Während John sich um Lilian kümmerte, rappelte sich Kyle taumelnd wieder hoch, dabei glotzte er John mit seinen wasserblauen Augen an, als hätte er einen Wahnsinnigen vor sich. Johns Aufmerksamkeit galt einzig Lilian, die von stählernen Fesseln fixiert auf der Pritsche lag. Ihr Kopf war zur Seite gekippt. Ihr langes braunes Haar hing bis zum Boden hinunter. John gab auf einer seitlich am Bett befindlichen Tastatur einen Code ein. Ein Mechanismus klickte, und die Manschetten sprangen auf. Dann nahm er Lilian vor den Augen seiner erstaunten Kollegen in die Arme und trug sie hinaus. Auf dem Weg zu seinem Apartment stieß er jeden beiseite, der sich ihm in den Weg stellte.
Als er sie in sein eigenes Bett legte, stand plötzlich Bran hinter ihm. Zum Glück – einen anderen hätte John im Moment nicht in seiner Nähe ertragen können.
John deckte Lilian sorgsam mit der nachtblauen Satinbettwäsche zu und rückte ihr das Kissen unterm Kopf zurecht, bevor er sich an ihre Seite setzte. Beinahe zaghaft ergriff er ihre schlaffe Hand. »Es tut mir leid«, flüsterte er, obwohl sie ihn mit Sicherheit nicht hören konnte. Er strich ihr eine dunkle Strähne aus dem Gesicht, ein Akt reiner Hilflosigkeit, weil er nicht wusste, wie viel des Betäubungsmittels sie abbekommen hatte und wie lange es dauern würde, bis sie wieder zu sich kam.
»Wer hat das veranlasst?«, fragte er tonlos, ohne sich nach Bran umzudrehen. Immer noch ruhte sein Blick auf Lilians schmerzverzerrtem Gesicht, das selbst im Schlaf nicht zur Ruhe zu kommen schien.
»John, reg dich ab!« Brans dunkle Stimme hatte einen beruhigenden Effekt. Trotzdem wollte John den Verantwortlichen für dieses Desaster zur Rede stellen. Nur durch Zufall hatte er von der Einlieferung zweier gefangener Panaceaer erfahren, die man in die Laborzellen geschafft hatte, um sie zu untersuchen. Erst danach fiel die Entscheidung, ob man sie als Blutlieferanten für eine Ersatzdroge gebrauchen konnte oder – falls das nicht der Fall war – ob man sie eliminierte, weil es wegen ihrer Initiation in der Regel nicht möglich war, sie zum Umdenken zu bewegen. Somit hatte Lilians Leben an einem seidenen Faden gehangen. Wenn John nicht dazwischengegangen wäre, hätten seine Leute sie womöglich ohne Skrupel ins Jenseits befördert.
»Paddy war’s – habe ich recht?« John schaute zu Bran auf und fand in dessen braunen, gütigen Augen jenes Vertrauen, das er schon länger bei seinem irischen Vertreter vermisste.
»Es war bestimmt ein Missverständnis.« Bran versuchte wie immer ausgleichend zu wirken.
»Bran, Paddy hätte sie um Haaresbreite getötet. Ist dir klar, was das heißt? Er weiß genau, wie viel mir Lilian bedeutet – und dass ich sie niemals umbringen könnte, ganz gleich, was geschehen ist.«
»Vielleicht wollte er zunächst sichergehen, ob sie zu den Panaceaern gehört, bevor er dich unterrichtet. Die Untersuchungen waren noch nicht abgeschlossen«, erwiderte Bran wie zur Entschuldigung. »Und ich kann dich beruhigen: Nach allem, was bisher herausgekommen ist,
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