Die Teufelshure
abwarten, wohin man ihn brachte. Er würde ein bisschen verwirrt tun und dann alle Hebel in Bewegung setzen, um Remmington und Murray zu mobilisieren.
»Moment mal?« Einer der Wachleute sah ihm prüfend ins Gesicht. »Ich kenne den Kerl. Er ist der Zeuge von Leith, den Hancock und Leroy beseitigen sollten. Stattdessen sind sie John Cameron in die Falle gegangen, und er hat den Mistkerl befreit und ihm das Gedächtnis gelöscht.«
»Und warum sitzt er jetzt hier?« Die Lider des weißhaarigen Kuttenträgers waren nur noch schmale Schlitze.
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er doch was mit Cameron zu tun?«
»Ich hab’s mir anders überlegt«, knurrte der Weißhaarige. »Bringt ihn zu den übrigen Gefangenen ins Verlies! Wir beschäftigen uns später mit ihm.«
40
Highlands 2009 – »Seelenschau«
Lilian sann auf Rache. Spätestens nachdem Mercurius den Kerker mit der Bemerkung verlassen hatte, dass sie in wenigen Stunden Zeugin eines großartigen Spektakels werden würde. In einem einzigartigen Initiationsritus werde er John und ihren Vater zu echten Panaceaern weihen.
Es hatte Lilian einige Mühe gekostet, ihre Gefühle gegenüber Mercurius zu verbergen. Aber sie lernte schnell, denn offenbar besaß er die Gabe, direkt in ihre Seele zu schauen. Merkwürdigerweise ging es auch umgekehrt, denn plötzlich hatte sie die eisige Kälte gespürt, die von seinem inneren Wesen aufstieg. Da war nichts, was auf Gnade oder Mitgefühl schließen ließ. Das Einzige, was seine egozentrische Persönlichkeit interessierte, waren seine Experimente und die maximale Steigerung seiner Macht.
Ihre Wahrnehmung hatte sich eindeutig sensibilisiert. Es musste an der Kapsel liegen, die John ihr in den Mund geschmuggelt hatte. Von Minute zu Minute fühlte sie sich kräftiger. Ihr Kopf erschien ihr so klar, als hätte ein Orkan den Nebel darin einfach hinweggefegt. Ihre Muskeln strotzten vor Kraft, und sämtliche Sinne hatten in den letzten zehn Minuten eine unheimliche Steigerung erfahren. Sie konnte sogar spüren, dass es Jenna besser ging, seit Mercurius ihr die Tropfen verabreicht hatte. Ihre Haut war praller und rosiger geworden, und nachdem Mercurius den Kerker wieder verlassen hatte, kam sie endlich wieder zu Bewusstsein.
Lilian stand auf und sah sich gründlich um. Die Hoffnung, ihrem Schicksal trotzen und ausbrechen zu können, durchflutete sie so plötzlich, wie das Gefühl, Bäume ausreißen zu können.
Jenna hatte sich aufgesetzt und beobachtete Lilian, wie sie sich streckte und ein paar Dehnübungen vollzog und anschließend ruhelos das fensterlose Verlies durchquerte, als sei sie auf der Suche nach einer weiteren Tür oder einem Fenster.
Das Einzige, was Lilian interessant erschien, waren die uralten Ketten, die von den drei Meter hohen Wänden und Decken herabbaumelten. Sie nahm sich ein langes Ende und zog mit aller Kraft daran. Keuchend stemmte sie sich mit einem Fuß gegen die Wand, um den Zug zu verstärken.
»Was machst du da?« Jenna warf ihr einen zweifelnden Blick zu.
»Ich suche nach einer Möglichkeit, abzuhauen. Vielleicht können wir eine der Wände zum Einstürzen bringen?«
»Das ist absurd«, gab Jenna zurück, dabei wanderte ihr Blick an den massiven Steinmauern entlang, bis hin zu der vergitterten Eichenholztür. »Das ist ein uralter Kerker. Wer immer hier seine Feinde untergebracht hat, wollte sie einsperren bis in alle Ewigkeit. Wenn du nur lange genug suchst, wirst du todsicher auf die Knochenreste irgendwelcher unseliger Vorgänger stoßen, die hier unten verrottet sind.«
»Gerade das ist es, was mir Hoffnung macht«, erwiderte Lilian. »Alles ist alt und marode, und offenbar hatten unsere Peiniger bisher keine Gelegenheit oder keinen Sinn dafür, den Laden zu renovieren. Schau dir doch nur das Licht an der Decke und die provisorischen Klos an! Nicht gerade professionell.« Lilian strengte sich noch einmal an, weil sie spürte, wie das ins Mauerwerk eingelassene Ende der Kette nachgab.
Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und fiel auf ihren Hintern. Mit einem lauten rasselnden Geräusch sauste die schwere Eisenkette auf sie herab. Ein paar Steine folgten und zersplitterten am Boden. Staub wirbelte auf.
»Hast du dir was getan?« Jenna humpelte besorgt zu ihr hin. Obwohl es ihr besser zu gehen schien, bewegte sie sich immer noch wie eine Greisin.
»Bis auf die Tatsache, dass mein Trommelfell womöglich geplatzt ist«, antwortete Lilian und rieb sich die Ohren, »geht es mir
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