Die Teufelshure
herein und brachten Wasser und Brei. John lag ganz nahe an den Stäben und stellte sich schlafend. Blinzelnd beobachtete er den Älteren, der dem Jüngeren im Abstand von einem Yard folgte und einen dicken Schlüsselbund an seinem Gürtel trug. Das Licht der Fackel schmerzte John in den Augen, und er fragte sich, wie es erst sein würde, wenn er wieder ans Tageslicht gelangte. Als der jüngere Kerl mit dem Napf nahe genug herangekommen war, sprang John unvermittelt auf und packte ihn bei den Armen. Der Napf fiel scheppernd zu Boden, und bevor der Ältere um Hilfe rufen konnte, hatte John seinem Opfer die Handkette so geschickt um den Hals geschnürt, dass der junge Wärter verzweifelt nach Luft ringen musste. Blitzschnell hatte John ihm den Dolch entwendet und setzte ihm die Spitze schmerzhaft an die Leber. Dann ging John mit seinem Opfer zu Boden, weil dem jungen Kerl vor Furcht und Atemnot die Beine versagten. Der Ältere versuchte derweil zu fliehen, um Alarm zu schlagen.
»Das ist keine gute Idee«, rief John ihm hinterher. »Wenn du abhaust, ist dein Kamerad tot!«
Paddy, der sich wie die anderen hinter John gestellt hatte, warf dem Schotten einen zweifelnden Blick zu. Welcher Wachmann spekulierte auf die Unversehrtheit seines Kameraden, wenn es darum ging, die eigene Karriere zu retten? Doch John hatte in den vergangenen Tagen etwas beobachtet, was Paddy und den anderen entgangen war. Die beiden Männer, die ihnen das Essen brachten, waren zwar gewöhnliche Söldner, aber sie hegten ein besonderes Verhältnis. Das Röcheln des jüngeren Mannes, den John in seiner Gewalt hatte, wurde immer leiser.
Zögernd kam der ältere Soldat zurück und blieb mit einem gewissen Sicherheitsabstand zu den Zellen stehen.
»Wirf deinen Schlüssel herüber!« John sah den alten Kerl auffordernd an, und als der Wächter nicht sofort tat, was er sagte, verstärkte er nochmals seinen Griff, so dass sein Gefangener blau anlief.
Mit zusammengekniffenen Lippen nahm der Wachmann sein Schlüsselbund vom Gürtel und warf es in die Zelle hinein. Paddy war sofort zur Stelle und hob den Ring mit den Schlüsseln auf. Hastig öffnete er die eiserne Tür und packte den Alten. Anschließend nahm Ruaraidh den jungen Wachmann in Empfang. John erhob sich stöhnend und ergriff den Schlüssel, um seine eigenen Ketten und die seiner Mitgefangenen mit einem kleinen, kompliziert gedrehten Schlüssel zu öffnen. Dann zog man gemeinsam den beiden Wachmännern die Kleider vom Leib und fesselte sie mit Stricken, die im Gang vor den Zellen an einem Haken hingen. Anschließend knebelte man sie mit ihren eigenen Halstüchern und setzte sie in die hinterste Ecke der beiden Gefangenenlöcher.
Malcolm und Micheal wurden angewiesen, rasch die Kleidung der Soldaten anzulegen, die ihnen nur leidlich passte, weil beide Jungen eine stattliche Größe besaßen. Aber nur so würden sie auf dem Weg nach draußen vermutlich der Aufmerksamkeit der Festungssoldaten entgehen.
John streckte sich, um seine Glieder zu wärmen, während Paddy und die Kameraden sich in den Zellengang begaben, wo sie stehenblieben und ihn ansahen, als ob sie seine Befehle erwarteten.
»John,
du
warst Captain bei den königlichen Cavaliers«, bemerkte Paddy mit einem aufmunternden Grinsen, »also wirst
du
uns auch in die Freiheit führen.«
Bass Rock 1647 – »Die Gezeichneten«
Auf der Treppe zum Kerkerausgang empfand John mit einem Mal die Schwere der Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete. Nun war es seine Angelegenheit, ob es ihnen gelingen konnte, unversehrt von der Insel zu fliehen. Ein Gefühl, das er in dieser Deutlichkeit seit seinem letzten Kriegseinsatz nicht mehr verspürt hatte. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass man im Krieg wenigstens eine wärmende Uniform trug und kein härenes Hemd. Dazu besaß man ein ganzes Waffenarsenal, das einem Stärke und Sicherheit vermittelte. Das Einzige, was John zur ihrer Verteidigung vorweisen konnte, war sein Körper und der Dolch des jungen Wachmannes, den er in seiner Linken hielt. Paddy, der direkt hinter ihm ging und den Dolch des Alten erbeutet hatte, gab ihm dabei die nötige Deckung. Der Ire verfügte im Gegensatz zu den übrigen Kameraden über ausreichend kämpferische Erfahrung. Er hatte wie John in verschiedenen Armeen gedient. Erst nachdem er seine gesamte Familie durch ein rätselhaftes Fieber verloren hatte, war er zu der Überzeugung gelangt, dass Gott ihn für die vielen Toten bestrafen wollte, die
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