Die Teufelshure
irgendwo eine Fackel?«
»Nein?« Paddys Blick wirkte verblüfft.
»Ist es Tag?«
»Nein, offenbar nicht.« Wieder schaute Paddy sich suchend um.
»Aber du kannst sehen?« Johns Frage klang provozierend.
»Aye, jeden Stein und jeden Halm.« Erst jetzt schien Paddy zu begreifen.
»Teufel! Wie ist das möglich?« Der Ire sprang auf und irrte schwankend in der Zelle umher, als ob er nach etwas suchen würde. Dabei nahm er alles genau unter Beobachtung. Als er sich zu John umdrehte, stand ihm die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.
»Ich kann nicht nur in der Dunkelheit sehen«, sagte er plötzlich. »Ich weiß sogar, was
du
denkst! … Du denkst, du bist verrückt geworden. Habe ich recht?«
John schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln. »Ist das ein Wunder?«
»Nein, John, du verstehst nicht, was ich meine!« Paddy klopfte sich vor die Brust, dort, wo er sein Herz vermutete. »Ich spüre es hier drin, was du fühlst und was in deinem Kopf vorgeht … und überhaupt, John. Ich muss dir nichts verzeihen. Ebenso wenig die anderen. Es ist nicht deine Schuld, dass es so weit gekommen ist. Cuninghame und seine Männer sind die Schuldigen.«
John sah ihn ungläubig an und senkte den Blick. Paddy hatte ausgesprochen, was ihn tatsächlich im Innern bewegte. Er machte sich unentwegt Vorwürfe, weil er sich für das Unglück seiner Kameraden verantwortlich fühlte. Seine Mundwinkel zuckten gefährlich. Paddy war in drei Schritten bei ihm. John ließ es zu, dass er ihn umarmte. Dann sank er mit dem Iren zu Boden und begann zu schluchzen, während Paddy ihn hielt und Johns Nacken streichelte, geradeso als ob er sein Kind wäre.
»Ich kann in dein Herz schauen, John«, flüsterte Paddy. »Ist das nicht großartig? Ich sehe, dass du Angst hast, genauso wie ich. Aber was immer die da oben mit uns angestellt haben – wir werden nicht zulassen, dass sie uns unsere Seelen nehmen. Vorher schicken wir sie zur Hölle. Das verspreche ich dir.«
John löste sich aus Paddys Umarmung. Auch er spürte ungewohnt deutlich, dass der Ire die gleichen Gefühle hegte wie er selbst und dass er es ehrlich meinte. Es war, als ob er in seine Gedanken eindringen konnte. Verlegen rieb er sich die Augen und atmete tief durch.
»Wir müssen die anderen wecken«, erklärte der Ire entschlossen. »Ich will wissen, ob sie die gleiche Gabe haben.«
Reihum rüttelte er die übrigen Kameraden bei den Schultern, so lange, bis sie sich ziemlich desorientiert und unter Schmerzen erhoben. Jeder von ihnen konnte in der tiefsten Dunkelheit sehen und mindestens zehnmal besser hören und riechen als zuvor. Micheal erbrach sich mehrmals und spuckte das dargebotene Wasser aus, weil es ihm so bitter erschien, als wäre es reines Gift.
»Herr im Himmel, was haben die nur mit uns gemacht?« Ruaraidh sah an sich herab, als ob er einen neuen Menschen vor sich hätte. Als er in die Runde schaute, schien seine Verwirrung komplett.
»Ich kann eure Herzen schlagen hören«, flüsterte er andächtig. »Und ich kann spüren, wie jeder Einzelne von euch sich fühlt.«
Randolf rasselte mit seinen Ketten, als wollte er nochmals überprüfen, dass seine Sinne ihn nicht täuschten, weil auch er glaubte, alles viel lauter zu hören. Dabei fiel ihm auf, dass Eisen und Ketten weitaus dicker geschmiedet waren als zuvor. Wortlos stand er auf. Er nahm einen der eisernen Wassernäpfe und stellte ihn mit der Öffnung nach unten auf den Boden. Dann ballte er seine Rechte und schlug zu. Die anderen zuckten erschrocken zusammen, weil ihnen Randolfs Absicht entgangen war und das Geräusch ungewohnt laut in ihren Ohren dröhnte.
Als sie zu dem Napf hinschauten, war er so platt wie eine Flunder. Randolf sprang wie von Hornissen gejagt auf und ging zu den Gefängnisstäben, die die Zelle begrenzten. Zur Überraschung seiner Kameraden setzte er an und zog mit beiden Händen daran, um die dicken Stäbe zu verbiegen. Es machte den Anschein, als ob er sich konzentrierte, und dann bewegten die Eisenstäbe sich, nicht viel, aber sie bewegten sich.
»Nicht nur unsere Sinne sind geschärft«, verkündete Randolf triumphierend, »auch unsere körperlichen Kräfte sind beträchtlich gewachsen.«
John horchte auf. Er konnte Schritte hören, obwohl die Tür zum Verlies sich noch nicht geöffnet hatte.
»Schnell, da kommt jemand. Legt euch hin und stellt euch schlafend!«, rief er.
Kaum dass die Männer sich auf den Boden gelegt hatten, öffnete sich die Tür zum Verlies. Zwei Wärter kamen
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