Die Teufelssonate
herein. Und schöne Frauen waren immer da.
Notovich hatte kein Interesse. Er vermißte Senna vor allem nach den Auftritten, wenn er sich leer fühlte. Aber da war sie bereits zu Hause oder lief durch die Straßen der soundsovielten unbekannten Stadt. Er konnte sich nicht einfach ein Taxi nehmen, um sich davonzustehlen. Es gab jedesmal Leute, die darauf bestanden, ihn ins Hotel zu bringen. Im Auto saßen dann meistens lauter Gestalten, die irgendwie maßgeblich an der Organisation beteiligt waren oder jemanden bestochen hatten, um ein paar Minuten mit dem Pianisten allein zu sein. Manchmal waren es Frauen, die sich ihm aufdrängten und ihn sogar berührten. Französische Frauen waren indirekt, aber zielstrebig, belgische prüde, aber ungezogen und niederländische schlichtweg zudringlich. Deutsche Frauen faszinierten ihn. Doch er hielt sich zurück.
In einem verschlafenen Industriestädtchen verfolgten zwei Damen ihn mit aufgeregten Stimmchen bis zu seinem Zimmer. Als er ihnen die Tür vor der Nase zuknallte, lag Senna im Bett und erwartete ihn.
»Was machst du hier?«
»Ich habe den Portier bestochen.«
Sie schlief fast nie mit ihm in einem Hotel. Mit einem tiefen Seufzer des Glücks ließ er sich neben ihr aufs Bett fallen.
»Meinetwegen brauchst du nicht darauf zu verzichten«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Worauf?«
»Ich habe kein Problem damit, wenn du mit anderen Frauen nach Hause gehst. Wir sind einander zu nichts verpflichtet.«
Diese Worte strömten in seinen Leib wie eine elektrische Ladung, die er auf irgendeine Weise sofort wieder loswerden mußte.
»Wieso, hast du einen anderen?«
Sie ignorierte die Frage. Hatte sie wirklich so eine Abneigung gegen ihn? Wollte sie sich von ihm trennen? Er stand auf und suchte einen Papierkorb, den er umstoßen, oder eine Vase, die er aus dem Fenster werfen konnte.
»Siehst du, ich hab es doch gesagt«, meinte Senna leise. »Wir sind nicht gut füreinander. Ich mache dich verrückt.« In ihren Augen war eine Traurigkeit zu lesen, die noch nie so zutage getreten war.
»Wie kannst du schlecht für mich sein, wenn ich dich so liebe?« fragte er. »Mache ich dich nicht glücklich?«
»Überglücklich sogar. Aber zugleich todunglücklich.«
»Todunglücklich.«
»Das liegt nicht an dir. Genauso muß es sein bei einer tragischen Liebe.«
»Senna, ich will es einfach wissen: Hat dir mal jemand weh getan?«
»Das würde nichts ändern. Man ist so, oder man ist es nicht.«
Aus ihrem Munde klang das nicht einmal merkwürdig. Im nachhinein konnte er stundenlang über Dinge nachdenken, die er nicht verstand oder die nicht stimmten, und dann nahm er sich jedesmal vor, ihr eine ganze Liste von Fragen über ihr Leben zu stellen. Aber wenn er bei ihr war, schienen diese Fragen belanglos. Dann waren Senna und er eine Einheit.
Todunglücklich.
Diesmal war er zu verwirrt, um es auf sich beruhen zu lassen. Er hatte keine Kraft, diesen bleischweren Schmerz zu ertragen. Er wollte sie aus ihrem Elend erlösen. Das einzige, was sie beide brauchten, war, zusammen zu sein, eins zu werden. Er kroch unter der Decke zu ihr. Sie wich zurück, aber er ergriff ihre Beine.
»Nein, Mischa. Tu's nicht. Deshalb bin ich nicht hier.«
»Keine Angst, Liebling.«
»Bitte, du machst alles kaputt.«
Er spürte, wie ihr Körper erstarrte. Aber er wollte ihr nur helfen. Sie würden Schritt für Schritt vorgehen. Nicht seinetwegen, sondern um sie zu heilen. So sollte es zwischen zwei Liebenden sein. Versuch es zu genießen.
Danach war alles ein einziger großer Nebel, undurchdringbar und erstickend. Er kam erst zu sich, als morgens das Zimmermädchen an die Tür klopfte. Senna lag noch neben ihm; sie hatte wahrscheinlich die ganze Nacht nicht geschlafen. Er wagte nicht zu fragen, was genau passiert war. Sie schwieg den ganzen Morgen, und das Zimmer füllte sich schnell mit Menschen. Als er nachmittags von einem Termin wiederkam, lag ein Zettel auf seinem Kissen: Ich will dich nicht mehr quälen. Es tut mir leid.
Er sagte sein Konzert ab und nahm den Zug nach Paris. Aber er wußte, daß sie nicht einfach so zurückkehren würde.
18
N atasja … Na-ta-sja. Er konnte nicht glauben, daß er in den Armen eines nahezu unbekannten Mädchens geschlafen hatte. Gestern abend hatte er nach dem mißglückten Liebesakt so schnell wie möglich nach Hause gewollt, aber sie hatte dem offenbar keine Bedeutung beigemessen und sich an ihn geschmiegt. Vom Bett aus hatten sie ferngesehen und etwas
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