Die Teufelssonate
Niederlande, denn alle wollten »den neuen Liszt« sehen. In den meisten Städten war die Ausstattung miserabel, und das war seiner Laune nicht zuträglich. Zugige Turnhallen mit quietschenden Stühlen, hustende Zuhörer und Flügel, die durch Feuchtigkeit verzogen waren, oder Tasten, von denen das Elfenbein abfiel, wenn man sie nur ansah. Am liebsten spielte er in intimeren Räumen vor einer erlesenen Gesellschaft von Leuten, die wirklich Musikliebhaber waren und nicht zu einem Auftritt strömten, als sei es eine Zirkusattraktion.
Senna schien es zu genießen. Sie hatte ihre Zweifel wieder in den Hintergrund gedrängt. Notovich mietete eine große Etage, in der genug Platz für einen Flügel war. Sie hatten Angebote von diversen Klavierherstellern, die ihm gern ein Instrument zur Verfügung gestellt hätten. Aber Notovich wußte genau, welchen Flügel er wollte. Der alte Verkäufer strahlte, als sie das betagte Ungetüm abholten. Er schüttelte ihnen die Hände und küßte Senna ein paarmal zu oft.
Und während Notovich mit den Vorbereitungen begann, klapperte Senna allein die Flohmärkte ab. Jeden Tag brachte sie die ausgefallensten Gegenstände mit nach Hause. Eine antike Uhr in Form des Eiffelturms, eine lebensgroße Skulptur zweier sich paarender Pudel und ein Akkordeon, dessen Balg zum CD -Regal umgebaut war.
»Guck mal, Mischa, wie entzückend, das mußt du wirklich haben«, sagte sie jedesmal.
Er nickte nur und übte, bis das Morgenlicht durch die Vorhänge kroch. Er hatte eine simple Methode, sich eine neue Komposition anzueignen. Er spielte das Werk nie ganz, sondern teilte die Musik in kleine Stückchen auf. Die erste Seite unterteilte er in Takte und die Takte in Noten. So arbeitete er sich Takt für Takt durch die Seite. Er blätterte erst um, wenn er sie ganz beherrschte.
Je mehr er sich in die Musik vertiefte, desto weniger konnte er seine Begierden beherrschen. Es war, als ob sich alle Spannungen des nahenden Konzerts in ihm aufstauten. Eines Tages ertappte Senna ihn mit seinem harten Glied in der Hand und einer Grimasse um den Mund. Sie lachte auf, doch an diesem Abend schmiegte sie sich im Bett liebevoll an ihn und bot an, die Sache für ihn zu erledigen. Er wandte sich stolz von ihr ab, entschlossen, sie fühlen zu lassen, was Abweisung war.
Je näher die Auftritte rückten, desto mehr verkroch er sich in seine eigene Welt. Wenn Senna nicht da war, merkte er es oft nicht einmal. Die Musik beanspruchte ihn völlig. Inzwischen füllte sich die Wohnung mit sonderbarem Mobiliar. Im Flur hing eine Garderobe, die aus einem Geweih gemacht war, und in der Küche ein antikes Gewehr mit Häkchen am Lauf, an die man Handtücher hängen konnte. Nicht, daß Senna je abgewaschen oder gekocht hätte. Sie aßen außer Haus oder holten sich ein Baguette und Camembert. Als er spürte, daß sich seine Zähne lockerten, kaufte er Obst und Gläser mit Vitamintabletten.
Dann kam die Tournee. Von diesem Moment an waren fast ständig Leute um ihn herum, vom frühen Morgen, wenn das Frühstück ans Bett gebracht wurde, bis zum Abend, wenn er die letzten aufdringlichen Bewunderer abgeschüttelt hatte. Sobald die ersten Neugierigen zur Tür hereinschauten, verschwand Senna. Sie reiste nicht mit ihm zusammen. Trotzdem verpaßte sie nicht ein Konzert. Wie sie das machte, wußte er nicht. Fuhr sie mit dem Zug hin und her? Oder schlief sie in einem anderen Hotel? Es war ihm ein Rätsel. In Paris selbst ließ sie sich nicht oft bei einem Auftritt blicken. Und wenn doch, saß sie irgendwo versteckt im Publikum. Aber wenn er außerhalb der Stadt spielte, saß sie immer in der ersten Reihe. Am Anfang eines jeden Konzerts suchte er ihr Gesicht. Er konnte nicht mit Worten ausdrücken, warum es ihm so wichtig war, daß sie da war, doch sie spürte es.
Die Konzentration, die er bei seinem Debüt gehabt hatte, konnte er nicht mehr aufbringen. Er war nur selten mit seinem Spiel zufrieden. Je lauter das Publikum rief, wie genial er sei, desto mehr begann er seinem Talent zu mißtrauen. Wenn er sich hinterher erschöpft in seiner Garderobe hinlegen wollte, klopften ständig Leute an die Tür.
»Siehst du?« sagte er dann zu Bröll. »Sie schreien alles nach. Ich war heute abend wirklich nicht in Form, aber niemand hat richtig zugehört. Das ist nun der Wert von Erfolg.«
Bröll grinste und schaute durch den Türspalt, ob schöne Frauen auf dem Flur standen. Wenn er der Versuchung nicht widerstehen konnte, ließ er die Meute
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