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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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Valdin gewarnt!« sagte sie heftig. »Er ist nicht er selbst. Ich glaube fast, er dreht durch. Wer weiß, wozu dieser Mann in der Lage ist!«
    »Du hast Angst vor ihm.«
    Sie schwieg.
    »Ist er aggressiv? Tut er dir weh?«
    »Natürlich nicht. Was für ein Unsinn.«
    Sie schien sich zu beruhigen.
    »Ich möchte gern wissen, was in ihn gefahren ist. Ich möchte wissen, wer Senna war«, sagte sie, während ihre Hand die seine flüchtig berührte. »Willst du mir nicht etwas von ihr erzählen? Bitte, Mikhael.«
    Sie hatte ihn noch nie beim Vornamen genannt. Er spürte einen Hauch von Enttäuschung. Als müßte diese Frau ihn Mischa nennen.
    »Aber ich will das doch gerade alles hinter mir lassen.«
    »Das verstehe ich. Tu's nur ein einziges Mal. Für mich.«
 
    Zu Hause ließ er sie einen Moment auf dem Flur warten, damit er Zeit hatte, die schmutzige Wäsche, die Zeitungen, Bücher und Teller mit Essensresten in einen Schrank zu stopfen oder unter dem Sofa verschwinden zu lassen. Sie setzte sich aufs Sofa. Er suchte in einem Schrank nach sauberen Tassen und fand sogar noch eine Packung Bio-Kekse, die Linda ihm offenbar dagelassen hatte.
    Als der Tee fertig war, bat sie ihn, sich zu ihr zu setzen. Er zögerte. Es war, als wolle er ihr nicht zu nahe kommen, als würde er dann doch in gewisser Weise neben Senna sitzen.
    »Ich beiße nicht«, lachte sie. »Komm, so redet es sich leichter.«
    Zu Linda und Nicole war er nie wirklich offen über Senna gewesen. Aber er fand, daß Vivien ein Recht darauf hatte zu erfahren, wie sie in diese Geschichte verwickelt worden war. Er suchte nach Worten. Zögernd beschrieb er die erste Begegnung mit Senna unter dem Baum hinter dem Gebäude, in dem sich sein Übungsraum befand. Und wie sie das erste Mal in den Klavierladen gegangen waren, und daß sie sich dort manchmal auf den Flügel gelegt hatte, während er spielte. Dann erklärte er ihr, daß seine Liebe zu Senna ihm das Leben gerettet, daß sie aber jede echte Intimität verweigert hatte. Er erzählte ihr sogar von der Nacht, in der er Senna gezwungen hatte, mit ihm zu schlafen. Und daß sie am nächsten Morgen verschwunden war.
 
    Nach dieser schrecklichen Nacht hatte ein Schleier über den Tagen gehangen. Die Auftritte und der Erfolg widerten ihn immer mehr an. Ohne Senna erschien es ihm sinnlos, von Stadt zu Stadt zu ziehen, von Hotel zu Hotel, von einem leeren Bett zum nächsten. Wenn er frei hatte, streifte er durch die Straßen von Paris. Manchmal glaubte er, im Augenaufschlag einer Passantin ihren Blick aufzufangen, ihr dunkles Haar in einem vollen Laden zu erkennen oder ihre Silhouette in der Metro. Er besuchte den Ort, wo sie einander zum ersten Mal begegnet waren. Unter dem Baum auf dem kleinen Hof hinter seinem früheren Übungsraum versuchte er, sich an das Gedicht von Byron zu erinnern, das sie gelesen hatte. Von der Bank aus sah er den Balkon der Wohnung, in der sie sich damals aufgehalten hatte. Er zählte die Etagen und die Anzahl der Wohnungen, und es gelang ihm, die richtige Tür zu finden. Als er klingelte, war ihm, als ob sich jemand hinter der Tür bewegte. Aber es öffnete niemand.
    Wochen vergingen. Notovich sagte immer mehr Konzerte ab. Er konnte sich nicht mehr dazu aufraffen. Tagelang schlenderte er durch Paris, an den Märkten entlang, den Brücken, den Parks und Straßencafés. Eines Morgens sah er sie im Bois de Boulogne. Sie lag auf einer Wiese neben einem Pferd, das dort graste, einem Tier mit beängstigend durchgebogenem Rücken.
    Sie erkannte ihn nicht gleich. Erst nachdem er ihren Namen zweimal gesagt hatte, erschien ein vorsichtiges Lächeln auf ihren Lippen. Er stellte ihr ein paar einfache Fragen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie antwortete zunächst auf Französisch, als ob er ein Fremder wäre. Das Pferd hatte sie auf einem schlammigen Platz neben einer Reitschule gefunden, wo es zum Abtransport in den Schlachthof bereitstand. Nach einem harten Arbeitsleben habe es etwas anderes verdient, meinte Senna. Das arme Tier hatte manchmal acht, neun Stunden am Tag Kinder auf seinem Rücken getragen. Senna hatte den Besitzer überredet, ihr das Pferd zu schenken, damit es seinen wohlverdienten Lebensabend in Ruhe verbringen konnte. Ein Tierfuttergroßhändler spendierte ihr ab und zu einen Sack Hafer, ansonsten ließ sie es in den Parks grasen. Mitunter schickten Leute vom Grünflächenamt sie weg, hin und wieder auch ein Polizist, doch sie mußte nie Strafe zahlen. Nachts stand das Tier im

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