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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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nicht. Ich habe Angst, Mischa.«
    »Ich werde dir nie mehr weh tun.«
    »Nicht vor dir – vor mir selbst.«
    Er fühlte, wie die Dunkelheit ihn umschloß. Er fiel auf die Knie und begann zu weinen wie ein Kind. Sie legte ihre Hand auf seinen Kopf und versuchte, ihn mit sanften, tröstenden Worten zu beruhigen. Er klammerte sich an ihre Beine, sein Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt. Alle Enttäuschung, alle Wut über sich selbst, alle Ohnmacht brachen aus ihm heraus. Er konnte nicht mehr ohne sie leben. Wenn sie nicht mitkam, würde er sich damit abfinden, hier auf diesem zugigen Holzfußboden zu sterben. Sie kniete sich neben ihn und küßte ihn noch einmal. Und während er sie umklammert hielt, schliefen sie gemeinsam ein.

20
    W ährend Notovich erzählte, hatte Vivien ihren Tee nicht angerührt. Nun erhob sie sich rasch und wischte sich über die Augen. Sie war ergriffen.
    »Entschuldige bitte, ich bin sonst nicht so«, sagte sie. »Wie ging es weiter mit euch?« Sie lief am Regal entlang und ließ ihre Finger über die Buchrücken gleiten.
    »Wollen wir uns das fürs nächste Mal aufheben?«
    »Ach komm, Mischa! Ich meine, ich darf dich doch Mischa nennen?« fügte sie verlegen hinzu. »Oder durfte nur sie das?«
    »Natürlich nicht«, sagte er leichthin, während sich seine Eingeweide zusammenzogen. Sie war mit ihrem Zeigefinger am Flügel angelangt und ließ ihn nun zum Deckel hinuntergleiten.
    »Ist er das?«
    »Nein, dieser Flügel gehörte meiner Mutter.«
    »Aber sie ähneln einander. Ich möchte wetten, daß sie fast genauso klingen.«
    Es war ihm schleierhaft, woher sie das wußte. Sie studierte die Stahlbügel vor dem Vorhängeschloß. Als sie den Deckel öffnete, schrak er auf, als würde sie ihn selbst berühren. Sie streichelte die Tasten und blies etwas Staub herunter. Sie schien in einer verträumten Stimmung zu sein. Unter der Schale der Selbstbeherrschung wirkte sie wärmer, ungezwungener, fast wie ein verletzliches Mädchen. Er versuchte, den Gedanken an Senna zu unterdrücken.
    »Warum spielst du nicht was für mich?« fragte sie.
    »Jetzt? Ich habe schon so lange nicht mehr …«
    »Es braucht ja kein Liszt zu sein. Vielleicht etwas von Chopin.«
    Sie zog ihn an den Flügel. Er sträubte sich wie ein Kind, das nicht zum Schwimmunterricht will. Doch sie gab nicht nach, und er setzte sich.
    »Spiel etwas, das du für sie spielen würdest.«
    »Ich weiß nicht … ich …«
    »Natürlich weißt du es. Spiel ihr Lieblingsstück.«
    Sie kniete sich neben seinen Stuhl und legte ihre Hände locker auf seinen Schenkel. Er konnte es ihr nicht abschlagen. Er hatte keine Ahnung, warum, aber er spielte Mazeppa , Sennas Lieblingsstück. Seine Hände wiesen ihm wieder den Weg, als ob Noten, Akkorde und Dynamik in den Hautzellen seiner Finger gespeichert wären. Er war allein mit der Musik, allein mit Liszt, allein mit ihr.
    Mitten in einem Takt hörte er auf. Zwischen ihnen breitete sich Stille aus. Mit wem war er eigentlich hier: mit Vivien oder mit ihr ?
    Auf einmal stand sie auf.
    »Ich muß gehen. Valdin darf nicht wissen, daß ich hier bin.«
    »Er ist doch nicht Herr über dein Leben.«
    Er hielt sie zurück.
    »Laß mich los.«
    »Vivien, was will Valdin von mir?«
    »Was weiß ich. Er sagt mir nie etwas. Er sieht mich nicht an und tut, als ob ich nicht da wäre. Er sitzt den ganzen Tag an seinem Klavier, und wenn er nicht übt, dann liest er alles, was er nur kriegen kann, über Teufel und Dämonen. Er ist besessen, wirklich besessen. Halt dich von ihm fern, geh eine Weile ins Ausland oder so. Aber laß dich nicht in seine Welt hineinsaugen. Das mußt du mir versprechen.«
    »Wovon redest du?«
    »Er ist nicht halb so ein guter Pianist wie du, Mischa. Und genau das ist die Gefahr. Wenn du wieder auftrittst, macht er dich kaputt, und das würde ich mir nie verzeihen.«
    »Gemeinsam kommen wir gegen ihn an. Du kannst hier wohnen.«
    »Was? Ich kenne dich kaum.«
    Er verstand selbst nicht, warum er es ihr angeboten hatte. Es war ihm herausgerutscht, ehe er darüber nachgedacht hatte. Natürlich war es absurd. Die ganze Situation war absurd, doch er konnte dem Gefühl, das sie ihm gab, nicht widerstehen. Egal, auf welch traurigen Illusionen es beruhte.
    »Ich bin nicht sie.«
    Sie sagte es mit einem kaum verhohlenen Bedauern, das ihm etwas Hoffnung machte.
    Als sie weg war, setzte er sich wieder an den Flügel. Wie hatte er sich nur so hinreißen lassen können? Heute morgen hatte er noch

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