Die Teufelssonate
verhaftet worden war. Von den Blutflecken, die er beim Ausziehen auf dem T-Shirt entdeckt hatte. Und daß er sich damals nicht davon hatte trennen können. Natasja nickte und nahm alles ruhig in sich auf.
»Ich vermute, daß das meiste nichts Neues für dich war«, sagte er.
»Ich habe es in der Zeitung gelesen, wie alle. Denkst du, daß du ihr … etwas angetan hast?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Sie schien ihm zu glauben.
»Mit mir war damals etwas nicht in Ordnung. Die ganze Situation war völlig anders als jetzt, ich war anders.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Ich meine, ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Und es gibt keine Garantie, daß …«
Sie wollte nichts davon hören
»Ich sagte doch, daß ich keine Angst vor dir habe.«
»Aber …«
»Frag mich nicht, warum. Ich spüre einfach, daß du mir nie etwas antun wirst. Es ist vielleicht noch zu früh, um zu wissen, ob ich dich liebe, Mischa, aber ich fühle mich total sicher bei dir.«
Er küßte sie. Und dann liebten sie sich auf dem Fußboden, schnell und heftig, als ob sie viel nachzuholen hätten. Danach hatte Notovich Lust, Klavier zu spielen. Und an diesem Abend spielte er Liszt für sie, während er selbst laut mitsang. Die Angst war verschwunden, der Kampfgeist war in ihm erwacht. Wenn er Natasja anschaute, wollte er sie beschützen. Gegen jeden, der die Vergangenheit wieder heraufholen und ihn hinunterziehen wollte. Er konnte das Verlangen nach Rache jetzt deutlich spüren.
26
E s war fünf vor neun, als sie ankamen. Valdins Konzert hatte schon vor vierzig Minuten begonnen. Die Parkplätze waren voll, und die Schließer des Theaters unterhielten sich über Fußball. Bröll hatte die Karten organisiert. Er war für seine Verhältnisse auffallend schweigsam. Gott sei Dank. Als sie eintraten, hätte Notovich eine stärkere Anspannung empfinden müssen, doch zu seiner Verwunderung stellte sich diese nicht ein. Das konnte ein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht war er übermütig oder nicht fokussiert genug. Aber das war nicht der Fall. Er fühlte sich wie ein Sprinter vor dem Hundertmeterfinale. Jemand, der seinen Platz in der Geschichte einfordert.
Durch den langen, hohen Flur mit den roten Teppichen tönten ihnen Klänge einer Sonate von Rachmaninow entgegen. Sonate Nr. 2b-moll , eine Komposition, die er in seiner Anfangszeit auch gern gespielt hatte. Ein Mitarbeiter des Theaters wollte ihn aufhalten; während des Konzerts durfte niemand hinein. Aber Notovich sagte ihm, wer er sei, und ging einfach weiter. Es funktionierte noch, keiner folgte ihm. Er fing fast an, an seine eigene Unverletzbarkeit zu glauben.
Der Saal war bis auf ein paar Leuchter mit Kerzen vollständig verdunkelt. Notovich überließ Natasja und Bröll ihrem Schicksal und lief auf gut Glück nach vorn. Irgendwo in der Mitte stieß er auf einen freien Sitz am Gang. Er setzte sich so unauffällig wie möglich. Valdin bemerkte ihn von der Bühne aus nicht.
Notovich sog die Musik in sich auf. Als er Valdin das erste Mal hatte spielen hören, war er beeindruckter gewesen, als er zugeben wollte. Aber damals hatte er seit Monaten keine Musik mehr gehört. Inzwischen war sein Ohr wieder daran gewöhnt, und er war objektiver. Er hörte die kleinen Patzer und Passagen, die nicht richtig zur Geltung kamen. Valdin wurde dadurch kleiner, ein normaler Mensch.
Valdin war gerade am Ende seiner Sonate angelangt. Der Applaus fühlte sich für Notovich an wie verräterische Dolchstiche. Der Franzose verbeugte sich tief. Er hatte sein langes Haar mit Gel nach hinten gekämmt und trug einen langen Ledermantel. Er sah aus wie eine Kreuzung aus einem Rockstar und einem tschechischen Hundezüchter. Drei junge Frauen stürmten mit Rosen und Päckchen nach vorn. Valdin öffnete eines der Päckchen und holte mit theatralischer Geste einen weißen Slip hervor. Erstaunte Ausrufe und unterdrückte Schreie ertönten. Valdin schnupperte an dem Slip und schaute die Geberin des großzügigen Geschenks strafend an. Diese wurde unter hohen, angespannten Lachern zu ihrem Platz zurückgebracht. Der Saal fand es großartig. Notovich fragte sich, ob das das richtige Publikum für ihn und seine Musik sei.
Ein Mitarbeiter betrat die Bühne und flüsterte Valdin etwas ins Ohr. Sie berieten sich kurz, dann verschwand der Mitarbeiter wieder. Valdin schaute beunruhigt in den Saal. Man hatte ihn offenbar informiert, daß sich Notovich im Publikum befand. Notovich
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