Die Teufelssonate
einzige war, die dich inspirierte, Musik zu machen. Er half mir über meine Angst hinweg, so daß ich das erste Mal mit dir zu reden wagte, damals in dem Lokal. Und da lernte ich den Mann kennen, den Senna offenbar so geliebt hat. Du warst ganz anders, als ich erwartet hatte: sensibel, intensiv, zuvorkommend. Ganz gewiß kein Monster. Und ich genoß es heimlich, Senna zu sein. Es war eine Art Phantasie, in der ich lebte, meine Weise, etwas nachzuholen, was ich immer vermißt hatte.«
»Und?«
»Du warst mir auf Anhieb sympathisch. Ich empfand zunehmend mehr für dich. Du bist ganz anders als Valdin. Dabei war das natürlich genau das, was Valdin wollte: daß ich mich zu dir hingezogen fühle.«
»Warum hast du dir die Haare gefärbt?«
»Das hat er verlangt.«
»Erzähl weiter.«
»Ich fand diese Idee zuerst ein bißchen gruselig, denn ich zweifelte inzwischen, ob du wirklich so schuldig warst, wie Valdin behauptete. Ich mochte dich, Mischa, sehr sogar. Ich hoffte, wenn ich Senna noch ähnlicher sehen würde, dann würdest du dich mehr für mich … interessieren. Ich weiß, daß es nicht richtig ist, aber ich kann es auch nicht ändern.«
»Und doch hast du mitgemacht. Woher wußte er sonst, daß ich Mazeppa spielen würde? Das hast du ihm erzählt.«
»So war es nicht, ich habe das einfach nicht durchschaut! Er wußte schon, daß du ihn während eines Konzerts überfallen würdest; das war nur eine Frage der Zeit. Er hatte also ein paar Stücke vorbereitet. Als ich ihm erzählte, daß du mir spontan Mazeppa vorgetragen hast, war er euphorisch. Ihm war sofort klar, daß du das spielen würdest.«
»Woher konnte er das so genau wissen?«
»Er erinnerte sich, daß das ›euer‹ Stück gewesen ist. Daß du es immer gespielt hast, wenn sie im Saal saß. Stimmt das?«
Notovich setzte sich auf das Bett. Das konnte Valdin überhaupt nicht wissen, das konnte ihm niemand erzählt haben. Er verstand gar nichts mehr.
»O Mischa, ich habe das nicht gewollt! Wenn ich gewußt hätte, daß er dich so demütigen würde, hätte ich … Das habe ich nicht gewollt. Ich begreife jetzt erst, daß er derjenige ist, der besessen ist. Daß er derjenige ist, von dem ich mich fernhalten sollte. Ich glaube einfach nicht, daß du sie umgebracht hast. Ich habe Angst vor ihm.«
»Verlaß ihn doch!«
»Dann tut er mir was an.«
»Das glaube ich nicht. Warum sollte er? Du machst genau, was er sagt. Du bist seine Handlangerin.«
»Nein, Mischa, so darfst du nicht reden.« Sie fing wieder an zu weinen. »Ich glaube, ich empfinde mehr für dich, als gut für mich ist.«
Er glaubte ihr. Sie saßen zusammen auf dem Fensterbrett und schauten eine ganze Weile hinaus, ohne etwas zu sagen. Valdins Geschichte glaubte er nicht. Es gab überhaupt keine Leiche. Valdin hatte auch keine Beziehung mit Senna gehabt, das war alles Einbildung. Er war vielleicht auf Rache aus, aber nicht ihretwegen. Es war künstlerische Rache. Valdin wollte der größte Pianist aller Zeiten sein, und deshalb mußte er Notovich vom Thron stoßen.
Und auf einmal fing er an zu lachen. Vivien schaute ihn erstaunt an, doch er konnte es nicht erklären. Auf seltsame Weise war das eine Befreiung. Viviens Geschichte erhellte sehr vieles. Er wurde nicht von Dämonen oder Hirngespinsten aus seiner paranoiden Phantasie verfolgt. Er war nicht verrückt! Sie hatten ihn nur verrückt machen wollen. Und es wäre ihnen beinahe gelungen. Aber für all seine wahnhaften Gedanken gab es eine logische Erklärung. Von jetzt an konnte er tun, wozu er Lust hatte. Er würde wieder auftreten und CD s aufnehmen und Furore machen und der Welt zeigen, daß mit ihm nicht zu spaßen war. Niemand konnte ihn mehr aufhalten. Er war frei.
Vivien kämpfte wieder mit den Tränen.
»Du haßt mich.«
»Überhaupt nicht.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß er mich so benutzen würde.«
Er bekam fast Mitleid mit ihr. Woher sollte sie auch wissen, was er durchlitten hatte? Eigentlich müßte er ihr eine Tracht Prügel verpassen oder sie bei der Polizei anzeigen. Aber das konnte er nicht. Sie war schließlich eine nahezu perfekte Kopie von Senna. Das waren Sennas Gene, Sennas Fleisch und Blut. Zum ersten Mal wagte er, sich einzugestehen, wie sehr er sich nach diesem Körper gesehnt hatte. Er hatte von Anfang an versucht, das Gefühl zu unterdrücken, doch es war zu stark für ihn. Sie war zu stark für ihn. Es war, als ob sie ihm ins Ohr flüsterte: Du bist frei. Du darfst küssen, wen du
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