Die Teufelssonate
wieder auf, aber in diesem klaustrophobisch kleinen Raum war es nicht möglich, hin und her zu laufen.
»Ich habe doch schon gesagt, daß es mir leid tut«, fing sie auf einmal an. »Also was willst du noch von mir?«
Sie versuchte, ihn festzuhalten, aber er ergriff ihr Handgelenk und drehte es um, so daß sie einen Schmerzensschrei unterdrücken mußte.
»Du hast ihm erzählt, daß ich Mazeppa spielen würde, oder nicht? Ich habe dir das Stück damals vorgespielt.«
»Na und?«
»Und wessen Idee war es, das hier zu färben?« fragte er. Und er zog sie so heftig an den Haaren, daß ihr Nacken bedrohlich nach hinten knickte.
»Au! Laß mich in Ruhe!«
»Wessen Idee? WESSEN IDEE ?!«
»Niemands.«
Er riß ihren Kopf noch einmal nach hinten.
»Niemands?«
»Okay, es war seine Idee. Seine Idee! Er will dich verrückt machen!«
Sie begann so herzzerreißend zu schluchzen, daß er nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. Er war zu wütend, um sie zu trösten, aber er setzte sich auf die Bettkante und wartete, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte, entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.
Die Geschichte kam zögernd in Gang.
»Ich lernte Valdin auf einer Party eines Freundes meiner Eltern kennen. Ich wußte nichts über ihn. Er war charmant und gutaussehend und schien ein aufstrebendes Talent zu sein. Ich ließ mich von ihm einwickeln. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich wirklich verliebt war. Die Tatsache, daß jemand mich stehen sah, an mir interessiert war, versetzte mich in einen Rausch, den ich für Liebe hielt. Aber inzwischen weiß ich, daß unsere Begegnung kein Zufall war. Er hat große Anstrengungen unternommen, um unsere Familie zu finden. Er hat unsere ›zufällige‹ Begegnung inszeniert. Als wir ein Wochenende in Paris waren, wurde ich mißtrauisch, weil er sich ab und zu versprach und mich beim falschen Namen nannte. Da gab er zu, daß er meine Schwester gekannt hatte.«
»Deine Schwester?«
»Senna war vier Jahre älter als ich. Wir glichen einander wie ein Ei dem anderen. Aber ich war ›normal‹ und ›fröhlich‹ – zumindest meinte das meine Mutter immer: ›Vivien, Gott sei Dank habe ich eine, die sich normal benimmt‹, sagte sie dann.«
»Senna war deine Schwester?«
»Meine ›nicht-normale‹ und ›nicht-fröhliche‹ Schwester. Sehr ungerecht, denn darum durfte ich nie Schwierigkeiten machen oder unangepaßt sein. Das durfte nur sie, das schwierige Kind.«
»Warum habt ihr nicht denselben Nachnamen?«
»Sie lebte in Paris offenbar unter dem Mädchennamen meiner Mutter. Wir wußten am Anfang nicht mal, daß sie in Frankreich war. Ihr Verhältnis zu meinen Eltern war nicht … optimal. Meins übrigens auch nicht; diese Leute können so unmöglich starrköpfig und spießig sein. Und dann Senna dagegen. Die stieg schon, als sie zwölf war, mit einem Freund in den Zug nach Amsterdam, um sich im Van Gogh Museum ein bestimmtes Gemälde anzusehen. Sie war verrückt nach moderner Malerei. Aber wenn sie nach Hause kam, ging es hart auf hart. Gegen meinen Vater zog sie freilich immer den kürzeren, und dann verkroch sie sich tagelang in ihrem Zimmer. Sie malte auch selbst, doch mein Vater lachte sie aus. ›Wofür hältst du dich? Du hast überhaupt kein Talent!‹ Das sagte er ihr knallhart ins Gesicht.«
Notovich hörte mit Bestürzung zu. Senna hatte ihm nie etwas über ihre Vergangenheit erzählt, und nun zeigte sich, daß sie ein ganzes Leben gehabt hatte, bevor er sie kennenlernte, ein Leben mit einem Vater und einer Mutter in irgendeinem ganz gewöhnlichen niederländischen Wohnviertel. Das konnte er sich kaum vorstellen.
»Eines Tages verschwand sie mit einem Burschen, dem mein Vater nicht traute«, fuhr Vivien fort. »Sie schickte eine Ansichtskarte und ließ danach nie wieder etwas von sich hören. Ein Jahr später behauptete ein Ex-Freund von ihr, daß er Senna in Paris getroffen habe und daß sie mit allerlei Künstlern verkehre. Ich wagte nicht, es meinen Eltern zu erzählen. ›Künstler‹, das war für meinen Vater gleichbedeutend mit ›Gesindel‹. Monatelang schmiedete ich nachts im Bett Pläne, in den Zug zu steigen und sie zurückzuholen. Aber ich war so jung. Ich hatte kein Geld, und ich war noch nie in Paris gewesen.«
»Warum hattest du denn das Gefühl, daß du sie retten mußtest?«
»Wegen der Art und Weise, wie sie weggegangen war.«
Vivien seufzte unwillig.
»Du mußt es mir erzählen, Vivien«, sagte Notovich, jetzt sanfter. »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher