Die Teufelssonate
für sie; das hatten sie stillschweigend vereinbart. Anfangs gab er sich noch Mühe, es zu verbergen, aber es schien sie nicht zu stören, wenn er Lippenstift am Kragen hatte oder wenn sich unbekannte Frauen am Telefon meldeten.
Doch er hatte noch eine andere Geliebte. Eine eifersüchtige Buhle, die ein immer größeres Stück von Notovich für sich allein beanspruchte. Das war sein Ruhm. Oder vielleicht war es nicht so sehr der Ruhm, sondern die berühmte Seite seiner selbst: der große Notovich, der Virtuose, das unverstandene Genie, das von Luft, Wasser und großer Kunst leben konnte. Dieser andere Notovich hatte endgültig von seinem Körper Besitz ergriffen und nahm bei weitem den meisten Raum ein.
Für einen Außenstehenden wirkte es vielleicht, als ob er sie nicht mehr brauchte, aber das war Schein. Für ihn gab es keine andere Muse als Senna. Nur erlosch diese Flamme langsam. Sie wollte nicht mehr zuhören, wenn er improvisierte, wenn er gejagt nach neuen Harmonien suchte in seiner immer dünner werdenden inneren Klangwelt. Dann fühlte er sich zurückgewiesen, geriet in Panik, weinte, schrie, hämmerte an die Tür.
»Nun sieh mal, wie unglücklich wir sind«, sagte sie dann mit einem wehmütigen Lächeln. »Ist das nicht genau das, was wir wollten: todunglücklich sein?«
Sie bemühten sich beide, so zu tun, als ob nichts wäre. Sie grasten die Märkte ab. Sie kramten Erinnerungen an die Niederlande hervor. Sie las ihm aus »ihren« Briefen vor. Doch das Gefühl war weg, und sie konnten nichts dagegen unternehmen. Er machte ihr Vorwürfe. Daß sie eifersüchtig sei. Daß sie sich nicht wirklich für ihn interessiere. Daß er alles für sie getan habe, sein ganzes künstlerisches Leben um sie herum gebaut habe. Und je stiller sie wurde, desto rasender wurde er. Dann warf er mit Stühlen und allem, was ihm in die Hände fiel. Aber wenn er sich ausgetobt hatte, vertrugen sie sich. Sie vertrugen sich immer. Bis zu jenem Abend.
Er hatte sie gegen ihren Willen in eine Kneipe mitgeschleift. Er war oft so ruhelos in letzter Zeit. Dann hatte er das Bedürfnis rauszugehen, in die Welt.
»Damit die Leute dich anbeten können, was?« hatte sie gesagt. Er ignorierte die Bemerkung. Er bestand darauf zu gehen, jetzt! In der Kneipe trank er zuviel, redete zuviel. Senna mochte es nicht, wenn er so lärmte, und wollte nach Hause. Er zwang sie zu bleiben. Er brauchte momentan tatsächlich Publikum, und sie war sein wichtigster Zuhörer. Sie setzte sich in einer Ecke an einen Tisch und unterhielt sich mit einem Mann, den er kaum kannte. War das Valdin gewesen? Zu Hause fragte er sie aus: Worüber hatten sie gesprochen? Und was war daran so verdammt interessant? Sie wurde wütend und wollte ins Bett, aber er hielt sie zurück. Als sie sich heftig von ihm losriß, flog seine Hand in ihr Gesicht.
Sie sah ihn bestürzt an.
Er wünschte sofort, er könnte die Zeit zurückdrehen, aber es war unwiderruflich eine Grenze überschritten. Etwas war zerstört, verletzt, verloren. Ihre Beziehung hatte sich dadurch definitiv verändert. Er war ein anderer Mensch geworden, jemand, den er nicht mehr wiedererkannte, als ob er sich in der Spiegelung eines fahlen Fensters selbst betrachtete.
Am nächsten Tag war sie weg. Er ging zur Reitschule, doch das Pferd war nicht mehr da. Er suchte sie drei Tage lang. Erst auf den gewohnten Routen; dann breitete er sein Suchgebiet immer weiter aus. Es war ihm ein Rätsel, wie sie ein so großes Tier in einer Stadt, in der es nur Wohnungen gab, verstecken konnte. Seine Sohlen nutzten sich ab. Er erschien nicht zu einem Konzert, nahm die Anrufe von Bröll nicht entgegen. Er wußte, daß Senna einen Zufluchtsort hatte, eine eigene Wohnung oder ein Zimmer, nur hatte er keine Ahnung, wo das sein könnte. Er hatte noch mehrfach versucht, das Viertel wiederzufinden, wohin er ihr seinerzeit gefolgt war, aber Paris war zu groß. Er hatte den Stadtplan Dutzende Male studiert.
Und dann sah er sie.
Mitten auf der Straße ließ sie Magda aus einem Springbrunnen trinken. Sie zog alle Blicke eines nahegelegenen Cafés auf sich. Die Leute machten Witze und fotografierten. Senna saß auf dem Rand des Wasserbeckens, in ihrem eigenen stillen Kokon.
»Senna, komm bitte nach Hause.«
Sie schaute ihn erstaunt an. Sie war bleich und hatte schwarze Ringe unter den Augen.
»Ich flehe dich an, Senna.«
»Laß mich in Ruhe.«
»Ich spiele nicht mehr. Ich habe alle meine Auftritte abgesagt.«
»Du kommst schon drüber
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