Die Teufelssonate
hinweg«, sagte sie. »Genau wie Franz und Marie.«
»Hör doch auf mit den beiden! Es geht um uns. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Hier … fühl mal.«
Die Leute auf der Terrasse des Cafés verfolgten das Gespräch atemlos, auch wenn sie kein Wort Niederländisch verstanden.
Sie erhob sich, um zu gehen.
»Bleib hier, Senna.«
»Laß mich in Ruhe.«
»Ich finde dich doch wieder. Ich finde dich immer.«
Sie raunte dem Pferd beruhigende Laute zu und zog es langsam von dem Springbrunnen weg. Notovich riß ihr die Zügel aus den Händen.
»Laß das verdammte Pferd doch mal stehen.«
»Mischa, Vorsicht!«
»Ich habe noch lange nicht ausgeredet. Du kannst nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden. Ich bringe mich um, wenn du das wirklich tust!«
»Gib mir die Zügel.«
»Kommt nicht in Frage. Der Scheißklepper bleibt bei mir!«
Er wollte das scheue Pferd mit sich ziehen, aber es widersetzte sich sofort, als ob es Partei für Senna ergriffe. Notovich ruckte ein paarmal hart an den Zügeln. Das Pferd wieherte und bäumte sich plötzlich auf. Der plumpe Körper ragte weit über Notovich hinaus. Dann machte das Pferd unversehens einen hohen Sprung auf das Café zu. Tische fielen um, und Mütter rissen ihre Kinder zurück. Geschrei, Panik. Magda sprengte durch das Wirrwarr von flüchtenden Menschen und fallenden Stühlen hindurch und spurtete zwischen zwei parkenden Autos auf die belebte Straße.
Das schwerfällige Pferd Magda mit den steifen Beinen schien seine jugendliche Kraft und Grazie einen Moment lang wiedergefunden zu haben, für seinen letzten Galopp, genau wie das Pferd Mazeppa. Es flog über den Straßenbelag, als wäre es eine Weide im Frühling. Senna rannte hinterher, ohne auf den Verkehr zu achten.
Notovich konnte sich später nicht mehr genau erinnern, ob Senna die Zügel wieder erwischt hatte. Er wußte auch nicht mehr, von welcher Seite der Bus gekommen war. Er vermochte nicht zu sagen, wie weit sie und das Pferd mitgeschleift worden waren. Das einzige, was er noch vor sich sah, war Senna. Senna voller Blut. Senna, die sich an den zitternden, nassen Hals des sterbenden Tiers klammerte, während sich um sie herum ein Chaos aus Menschen und Autos bildete. Er versuchte, sich durch die widerwillige Meute hindurchzuzwängen, aber niemand ging zur Seite, niemand beachtete ihn. Auch Senna hörte ihn nicht. Sie hatte sich ganz von der Außenwelt abgekapselt.
Als Senna in den Krankenwagen getragen wurde, gelang es ihm endlich, sich aufzuraffen. Während er ihre Hand ergriff, schaute sie ihn benommen an. Der Sanitäter stellte ihm eine Frage, die er nicht verstand. Sie schoben ihn zurück und wollten die Türen schließen. Er rief: »Non!« und drängte sich durch die Öffnung hinein.
Er erinnerte sich, wie er geweint hatte, während sie ins Krankenhaus fuhren. Wie er ihre Hand gehalten hatte. Und wie sie ihn einen Moment angesehen hatte mit einem Blick, der sagen zu wollen schien: Es ist nicht dein Fehler, alles wird gut .
Es dauerte lange, bis die Wunden kuriert und die Brüche verheilt waren. Er ging jeden Tag ins Krankenhaus, aber nach einer Weile lag sie nicht mehr in ihrem Zimmer. Niemand konnte ihm sagen, wo sie sich aufhielt. Sie verweigerten die Auskunft. Sie wollte ihn offenbar nicht sehen. Er beschimpfte die Mitarbeiter der Rezeption und wurde des Hauses verwiesen. Er probierte es in allen anderen Kliniken der Gegend, doch sie war unauffindbar. Vielleicht war sie in den Niederlanden aufgenommen worden, weil sie selbst kein Geld hatte. Vielleicht hatte ihre Familie eingegriffen. Die Polizei kam vorbei und stellte ihm Fragen über den Unfall. Jemand hatte ihnen gesagt, daß es vielleicht Absicht gewesen sei. Er versuchte, nicht wütend zu werden, und erzählte ehrlich, was passiert war.
Zwei Monate später sah er sie auf einmal wieder in einer Straße, in der sie oft zusammen Kneipen besucht hatten. Sie ging noch etwas steif, aber ansonsten schien sie wieder ganz geheilt zu sein. Er rief ihren Namen, doch sie reagierte nicht. Als er noch einmal rief, schaute sich Senna kurz um. Dann lief sie einfach weiter, am Arm des lächelnden Valdin. Als ob sie ihn gemeinsam für immer ignorieren wollten.
36
E s war der Abend des Duells. Eine Limousine sollte Notovich und Natasja ins Fernsehstudio bringen. Als das Telefon klingelte, dachte er, es sei Bröll. Der behelligte ihn in den letzten Tagen ständig mit seinem nervösen Getue.
Aber es war seine Anwältin.
»Keine guten
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