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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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bat sie ihn noch einmal, ihr etwas vorzutragen. Er lief mit geheucheltem Widerwillen ins Wohnzimmer und spielte eine übertrieben sentimentale Version vom Liebestraum Nr. 3 für sie. Natasja zog sich die Decke über den Kopf, als ob sie es nicht hören wolle.
    »Ganz schön klebrig. Aber ich hatte nach dem anderen Stück gefragt, von dem du gestern so begeistert warst.«
    »Welches Stück? Sing es mir vor?«
    »Was weiß ich.« Sie begann die Melodie zu summen, an die er sich schon seit Wochen zu erinnern versuchte.
    »Natasja, woher hat du diese Musik?«
    »Das sagte ich doch gerade.«
    Er zerrte sie an den Flügel.
    »Ich möchte, daß du genau nachspielst, was ich gestern gespielt habe.«
    »Nun führ dich mal nicht so auf. Muß das jetzt sein?«
    »Ja.«
    Sie begann uninspiriert zu spielen, während Notovich in seinen Schubladen nach Notenpapier suchte, um die Melodie aufzuschreiben. Aber schon nach ein paar Takten hörte sie auf und meinte, sie habe keine Lust mehr.
    »Du begreifst es nicht. Das ist das Stück, das Valdin bei dem Konzert spielen wird. Ich bin ganz sicher.«
    »Na und? Was kümmert mich das? Ist das das einzige, was dich interessiert? Ich dachte, ich habe auch etwas hiermit zu tun.«
    »Natasja, ich flehe dich an. Verstehst du nicht, wie wichtig das für mich ist?«
    Sie seufzte und probierte dann brav, die Melodie nachzuspielen, aber viel weiter als beim ersten Anlauf kam sie nicht.
    »Ist das alles, woran du dich erinnern kannst?«
    »Mikhael, du hast keine fest umrissene Komposition gespielt. Es war eine einzige Improvisation, eine Achterbahn von Einfällen und Themen, bestimmt anderthalb Stunden lang, und das nonstop. Ich hatte noch nie so etwas gehört. Ich wüßte nicht, wie ich das nachspielen sollte.«
    »Aber das Thema? Spiel nur das Thema.«
    Sie schlug ein paar Töne an, korrigierte sich und versuchte es noch ein paarmal. Notovich notierte alles in Kurzschrift. Sie kam der Sache nahe, doch das Wesentliche entglitt ihr. Als sie aufhören wollte, packte er sie zu fest an der Hand. Für einen Moment sah er Angst in ihren Augen.
    Als sie aus dem Haus gegangen war, um einzukaufen, nahm er seine Aufzeichnungen und spielte die Noten noch einmal. Sie wirkten plump und banal; es war, als würde er probieren, einen Geruch nachzuspielen. Aber nach ein paar mehr oder weniger spielerischen Versuchen flossen auf einmal fünf Töne aus seinen Fingern, die ihm bekannt vorkamen. Fünf Töne aus der Sonate, die ihn unversehens zurückführten zu etwas, das in der Dunkelheit auf ihn wartete.
    Hätte er das Papier von Valdin nur studieren können. Er spielte die Töne wieder und wieder. Seine Finger wurden müde, aber seine Gedanken waren so lebendig wie nie zuvor. Er sah Senna vor sich. Es war, als ob der Schorf auf seinem verletzten Gedächtnis sich durch die Musik zu lösen begänne. Darunter spürte er eine neue, rosige Haut, die noch kein Tageslicht gesehen hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann würde ihm alles einfallen.
 
    Von der Polizei gab es nichts Neues. Er hatte Natasja erzählt, was in den letzten Tagen passiert war. Sie nahm alles ruhig auf und schien sich keine ernsthaften Sorgen zu machen. Dafür hatten sie jetzt auch keine Zeit, denn das Duell nahte. Bröll rief stündlich an, aber Notovich ging nicht ans Telefon. Er fürchtete, daß seine letzten Vorbereitungen im Chaos versanden würden. Er war jetzt so nah dran. Er mußte einfach arbeiten, arbeiten, arbeiten und einen klaren Kopf behalten. Dann würde alles gut werden. Natasja kochte für ihn und hörte zu, wenn er das Bedürfnis danach hatte. Sie hatte das Talent, da zu sein, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Sie lieh Bröll ihr Ohr und wimmelte die Medien ab. Notovich lebte nach seinem eigenen inneren Rhythmus. Er schlief, wenn er Lust hatte (fast nie), übte, wenn er Energie hatte (meistens) und liebte, wenn es sich ergab (überraschend oft).
    Die Nacht vor dem Duell war kühl und naß. Er hatte ein Stündchen an den Grachten frische Luft geschnappt. Als er auf Strümpfen ins Wohnzimmer schlich, um Natasja nicht zu wecken, lag im Dunkeln jemand zusammengerollt auf dem Sofa.
    »Vivien, was machst du denn hier?«
    Sie drehte sich zu ihm um und klammerte sich an ihn.
    »Er weiß es, Mischa. Er weiß das mit uns.«
    »Unsinn, er kann gar nichts wissen.«
    »Ich kann kein Theater mehr spielen. Er wollte heute abend mit mir schlafen, aber ich konnte es nicht. Ich kann diesen Mann nicht mehr um mich herum ertragen.

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