Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
entschließt sich dann:
»Und woher wissen Sie, dass es ein Er ist?«
Sie sagt es in lockerem, sanftem Ton. Lässt es klingen wie den Kommentar zu einer neuen Automarke oder als zählte sie die Zutaten für ein Rezept auf. Es ist überhaupt nichts Angespanntes in ihrem Tonfall, trotzdem stellen sich mir die Haare auf. Dann dreht sie sich um und verlässt mit schnellem Schritt den Raum.
Es ist der Tag vor Heiligabend. Die Temperatur liegt seit einer Woche unter null und hat das Pflaster der Götgata in eine riesige, glänzende Eiszunge verwandelt, auf der die Fußgänger sich mit vorsichtigen, tastenden Schritten vorwärts bewegen. Ein leichter Schneefall bettet die Stadt in einen gefährlich schönen, vergänglichen weißen Teppich, der alle Geräusche dämpft. Mein Kragen fängt die Schneeflocken auf, und nachdem die Körperwärme sie in kleine Wassertropfen verwandelt hat, läuft mir die Flüssigkeit weiter den Nacken hinunter, zwischen die Schulterblätter. Die Hände haben sich in zwei steife, unbewegliche Klumpen verwandelt, und ich muss erst wieder Leben in sie massieren, damit sie nicht gefühllos werden; das ist der Preis, den ich für meinen Geiz zu zahlen habe, weil ich mich weigere, einige Hundert Kronen für Handschuhe zu bezahlen, wo ich doch mehrere Paare im Haus liegen habe.
In den Geschäften läuft der Weihnachtseinkauf auf Hochtouren. Waren für Tausende von Kronen wechseln den Besitzer, während ich an den Schaufenstern vorbeigehe. Im Fenster des Lampengeschäfts wetteifern blinkende, bunte Weihnachtskranzlichter mit leuchtenden Weihnachtsmännern, die sich im Takt irgendwelcher unhörbaren Weihnachtslieder bewegen. Und überall herrscht diese verbissene Erwartung, die die Blicke der Menschen, die mir begegnen, beherrscht. Sie strahlen weder Freude noch Erwartung aus, sondern eher eine Art gezwungener Entschlossenheit, während sie zielstrebig zwischen den Geschäften hin und her eilen, kleine Klumpen und
manchmal größere Menschenströme bilden. Ströme von Konsumenten, denke ich.
Im Café schlägt mir feuchte Wärme entgegen. Sie wartet bereits am Tisch hinten am Fenster auf mich. Ihre Wangen glühen rot, und als ich sie umarme, erlaube ich mir einen tiefen Atemzug in ihrem goldgelben Haar. Es duftet nach Honig. Aina ergreift meine eiskalten Hände und sieht mich mit gespielter Verwunderung an.
»Du bist ja eiskalt! Hast du keine Handschuhe?«
Ich schüttle lächelnd den Kopf, als wären Handschuhe ein weltliches Problem, das mich überhaupt nicht tangiert.
Wir haben uns getroffen, um Weihnachtsgeschenke auszutauschen, eine Tradition, an der wir die letzten Jahre eisern festgehalten haben. Es handelt sich nie um irgendwelche teuren Sachen, nur kleine, aber gut überlegte Geschenke: ein Buch, eine CD, die etwas Besonderes bedeutet, oder vielleicht eine Konzertkarte.
Aina schüttelt ihr Honighaar und überreicht mir ein kleines, festes Päckchen, in eine Art grünes Staniolpapier gewickelt. Ich nehme es schweigend entgegen. Das Päckchen darf erst morgen geöffnet werden, so ist die Vereinbarung, und zwar genau um zehn Uhr abends, dann rufen wir einander an und bedanken uns brav für das Buch, die CD oder die Konzertkarte.
Ich überreiche ihr mein Geschenk, auch das ein festes Päckchen, in buntem Geschenkpapier, mit lila Schleife. Aina sieht begeistert aus, als sie es entgegennimmt. Ihr Pullover rutscht die Schulter hinunter und gibt einen roten BH-Träger preis. Sie lacht laut, als sie meinen kritischen Blick sieht.
»Nun sei nicht so prüde, Siri. Du solltest auch einen größeren Ausschnitt tragen.«
Ich weiß nicht, ob es die Wärme hier drinnen im Café ist oder ihr Kommentar, vielleicht auch die Tatsache, dass ich
nicht vergessen kann, dass Sven und Aina eine Affäre gehabt haben, aber plötzlich spüre ich, wie mein Gesicht heiß wird. Ich stehe auf und befreie mich von der feuchtwarmen Mantelhülle, lasse mich dann wieder auf den Stuhl sinken.
»Und – wie läuft es mit Onkel Polizist?«
Ich antworte wahrheitsgemäß, dass alles gut läuft, aber es gibt dennoch gewisse Dinge in unserer Beziehung, die ich nur schwer akzeptieren kann.
»Ich stecke in einer Rolle fest, die mir nicht gefällt. Er ist der Starke, ich bin die Schwache, er ist der Held, ich das Opfer. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, endet es damit, dass ich aus irgendeinem Grunde heule. Und er mich natürlich tröstet. Und dann werde ich wütend auf ihn. Obwohl das gar nicht sein Fehler ist. Das ist so
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