Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
diese Jahreszeit nur selten erlebt habe.
Das Haus ruht friedlich zwischen den schneebedeckten Felsen. Nicht eine Bewegung ist zu sehen. Keine Spur im Schnee um das Haus verrät die heimlichen Pfade der Tiere.
Als ich an der Tür ankomme, muss ich es mehrere Male versuchen, bis der Schlüssel in das altmodische Schloss will, so steif sind meine verfrorenen, weißen Finger.
Drinnen ist es stickig, die Luft ist voller Staub und Feuchtigkeit. Ich stelle meine Plastiktüten auf dem Boden ab und gehe von Raum zu Raum, drehe die Heizungen auf und kontrolliere, ob auch alle Lampen funktionieren.
In der Küche sind Kühlschrank und Gefrierschrank in Gang, aber der Kühlschrank ist voll mit verschimmeltem Gemüse
und saurer Milch, die von einer übereilten Abreise künden. Ich kippe den geleeartigen Milchklumpen ins Waschbecken und leere langsam den Kühlschrank. Vom obersten Regal in meiner Vorratskammer nehme ich eine Flasche Amoronewein. Ich möchte mir etwas anderes als den üblichen Roten aus dem Karton gönnen. Es ist ja trotz allem Heiligabend. Es ist Heiligabend, und ich bin wieder zu Hause. Die Erleichterung darüber, zurückgekehrt zu sein, ist fast physisch greifbar. Der Körper fühlt sich leicht und warm an. Ich stelle fest, wie sehr ich doch mein Zuhause vermisst habe. Es ist paradox, dass ich mich hier, wo alle anderen mich bedroht sahen, so sicher fühle. Vielleicht liegt es an Stefan, in allen Zimmern ist er präsent, seine Anwesenheit greifbar durch schön abgeschliffene Fußleisten und sorgfältig gestrichene Wände. Ich suche nach einem Glas und einem Korkenzieher und serviere mir selbst von dem kräftigen Rotwein, hebe das Glas und proste meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe zu und trinke. Eine angenehme Wärme breitet sich in meinem Körper aus wie Ringe auf dem Wasser.
Ich bin zu Hause.
Mit dem Rotweinglas in der Hand hole ich mein Handy heraus und tätige die Gespräche, die von mir erwartet werden. Ich spreche mit meinen Schwestern, den Nichten und Neffen, mit Mama und Papa, wünsche Fröhliche Weihnachten, erkläre noch einmal, dass Aina ganz allein über Weihnachten wäre, wenn ich das Fest nicht zusammen mit ihr verbringen würde. Ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich meine Eltern anlüge. Sie haben mein Bedürfnis nach Einsamkeit noch nie verstanden, und das würden sie jetzt noch viel weniger. Und wie einfach es doch ist, sie dazu zu bringen, dass sie mir glauben. Als würden sie sich verzweifelt wünschen, dass das, was ich sage, auch wahr wäre. Zwar erklären sie noch einmal,
dass natürlich auch Aina in ihrem Haus in Huddinge herzlich willkommen wäre, aber ich erkläre ebenso automatisch, dass Aina momentan eher Ruhe und Frieden braucht. Weihnachten kann ja eine problematische Zeit sein, wenn man sich mit seinen Nächsten nicht versteht, was Mama sofort einsieht. Sie wünscht uns einen schönen Heiligabend, erinnert ans traditionelle Fernsehprogramm mit Donald Duck und Karl Bertil Jonsson und verabschiedet sich dann. Ich kann ihrer Stimme anhören, wie dankbar sie ist, dass Aina bei mir ist, und habe den Verdacht, dass sie eigentlich glaubt, ich sei diejenige, die Ruhe, Frieden und menschliche Nähe ohne große Erwartungen braucht, wie Aina sie mir wohl geben kann. Meine Gedanken aus dem Bus kehren wieder: wie schwer es doch ist, den zu durchschauen, der nicht durchschaut werden will. Ich schenke mir ein weiteres Glas ein und schneide mir eine dicke Scheibe Käse ab; es ist an der Zeit, die Videos anzuschauen.
Peter Carlssons Gesicht nimmt den Bildschirm vor mir ein. Nervös und unglücklich blickt er über den Tisch meine nur von hinten zu sehende Gestalt an. Dunkelgrauer Anzug, blaugestreifter Schlips, nichts, was auffällt, nur maßgeschneiderte Eleganz von Kopf bis Fuß. Für einen Moment schaut er direkt in die Kamera, und sein Blick ähnelt dem eines wilden Tieres. Es gibt da etwas in seinen Augen, was mich dazu verleitet, mir vorzustellen, wie er aus der Praxis fortläuft, sich den Anzug vom Leib reißt, den blaugestreiften Schlips wegwirft und in die Wälder rennt. Ich drücke auf Pause und denke über meine Reaktion nach. Vielleicht liegt es am Kontrast zwischen seinem gepflegten, zivilisierten Äußeren und seinen Worten, die eine andere Seite seiner Person widerspiegeln, eine, die nach Schweiß und Tier riecht, eine Seite, die von Trieben und Zwang handelt.
»Mir kommen so Gedanken, Bilder in den Kopf. Und die machen mir Angst.«
»Können Sie Ihre Gedanken
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