Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Gefühl, dass ich noch nie so gesund war wie jetzt.«
Charlotte lächelt und wirkt einen Moment lang vollkommen ruhig.
»Aber wenn ich ehrlich sein soll …«
»… und das soll man ja hier drinnen …«
Wieder lächelt Charlotte, dankbar dafür, dass ich einen Scherz mache.
»Es lag wohl nicht nur an dem, was mit Ihrer Patientin passiert ist, dass ich die Therapie abbrechen wollte. Ich habe gefühlt, wie ich die Kontrolle verlor, und es war sehr unangenehm, weiterzumachen. Es war einfach für mich, mein Verhalten zu ändern. Die Essgewohnheiten zu ändern. Aber die Vorstellung daran, wer man selbst ist, zu ändern… das ist schrecklich schwer. Ich habe im Laufe des Herbsts oft darüber nachgedacht …«
»Und?«
»Und ich habe das Gefühl, dass ich mich in einer Phase der Veränderung befinde. Nicht mehr unbedingt alles durchdrücken will. Was ich manchmal direkt vermisse.«
»Die Essstörungen?«
»Natürlich vermisse ich es nicht, krank zu sein, aber ich kann eine Art … Leere spüren, eine Orientierungslosigkeit. Ich fühle diese Höhle, und sie scheuert. Und dann gibt es da noch einen anderen Aspekt: Ich habe keinen Grund mehr, mein Leben nicht in die Hand zu nehmen. Einen neuen Job zum Beispiel. Die Liebe… oder den Mangel an Liebe. Mir wird ganz flau, wenn ich an all das denke, was ich tun muss.«
Ich denke eine Weile nach.
»Job und Liebe. Liebe und Job. Die endgültige Therapie.«
»Wie meinen Sie das?«
»Freud hat das so gesagt, er nannte Arbeit und Liebe die endgültige Therapie.«
»Ich bin nicht so für Freud.«
Ich lächle Charlotte an.
»Machen Sie immer eins nach dem anderen. Und, Charlotte …«
»Ja?«
»Sie können mich jederzeit anrufen.«
Wir sitzen noch eine Weile schweigend da und schauen aus dem Fenster. Draußen ist es dunkel geworden, und ich kann mein eigenes müdes Spiegelbild in der Fensterscheibe sehen. Ich stehe auf und trete ans Fenster. Langsam lege ich die Stirn gegen das kalte, harte Glas, so dass meine Atemzüge zwei feuchte Flecken unter der Nase bilden. Auf dem Markt unten ist wie üblich der Handel in Gang. Die Marktverkäufer bieten Böcke und Schweine aus Stroh an, Türkränze aus Tannenzweigen, geschmückt mit roten Äpfeln und anderem Krimskrams. Weihnachten nähert sich unerbittlich.
»Alles in Ordnung?«
Charlotte klingt aufrichtig besorgt, und ich strecke mich und drehe mich zu ihr um.
»Ja, natürlich, ich habe nur gerade gedacht… dass bald Weihnachten ist.«
»Ja und?«
Charlotte sieht mich fragend an, eine Falte zwischen ihren Augenbrauen. Ich beeile mich, mein sonderbares Verhalten abzulegen.
»Was werden Sie Weihnachten tun?«
»Nun ja, ich werde meinen Vater besuchen, und ich werde ein wenig arbeiten. Brav mein Essenstagebuch führen. Und dann habe ich tatsächlich ein Date.«
»Ein Date, das ist ja toll.«
»Mhm. Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen erzählt habe. Als ich zu diesem Aquarellkurs an der Volkshochschule gegangen bin, habe ich einen Mann kennen gelernt. Sie wissen schon, da am Götgangsbacken. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, ich denke, es ist noch zu früh, schon etwas zu sagen … aber es ist ein schönes Gefühl.«
Plötzlich überfällt mich eine unerklärliche Unruhe. Mein
Magen zieht sich zusammen, und ich wende den Blick ab vom Gewimmel auf dem Medborgarplatz, richte ihn auf Charlottes ruhige, durchgestylte Figur. Sie sieht mich verwundert an, und ich merke, dass sie meine Unruhe spürt.
Wir verabschieden uns voneinander. Es ist immer etwas wehmütig, wenn Patienten ihre Therapie beenden. Manchmal habe ich den Eindruck, ich vergesse fast, warum sie eigentlich hier sind, dass sie für meine Zeit, meine Arbeit bezahlen. Dass sie mich eigentlich nicht persönlich meinen.
»Passen Sie auf sich auf«, sagt Charlotte und drückt mich leicht an sich, es scheint, als wäre sie in der Lage, mich in den Arm zu nehmen, ohne mich zu berühren. Ein durch und durch ätherisches Wesen.
»Und übrigens…«, sie legt den Kopf schräg, »viel Glück mit… mit dieser Person, die Sie verfolgt.«
Sie sieht mich lange an.
»Ach, sie werden ihn bald erwischen«, sage ich, denn ich will Charlotte nicht noch mehr beunruhigen.
Ein kurzes Lächeln erscheint auf Charlottes Gesicht, das aber ebenso schnell wieder verschwindet und von einem hochgezogenen Mundwinkel ersetzt wird, der sie plötzlich ein wenig… herablassend aussehen lässt. Als würde sie mich gleichzeitig bemitleiden und verachten. Sie öffnet den Mund, zögert,
Weitere Kostenlose Bücher