Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
darunter gelitten haben, sowohl physisch als auch psychisch. Heute geht es Ihnen gut, das Essen nimmt einen normalen Platz in Ihrem Leben ein, einen normal kleinen Teil Ihres Bewusstseins, Ihrer Zeit. Und auch wenn Sie zwischendurch das Gefühl hatten, infolge der Sitzungen vollkommen die Kontrolle zu verlieren, so haben Sie auch das überwunden. Nicht wahr? Sie sind auf jeden Fall ebenso gesund wie jeder andere, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und, vielleicht das Wichtigste: Sie haben jetzt das Werkzeug, um zu verhindern, dass Sie in zwanghaftes Verhalten und Denken zurückfallen, Sie müssen es nur benutzen.«
Ich warte auf eine Antwort, aber es kommt keine. Charlottes Blick geht in weite Ferne. Aus dem Fenster ist er gewandert und weiter in die blassgraue Dezemberdämmerung hinein, die langsam, aber sicher den Medborgarplatz in Besitz nimmt. Ich kann graue Strähnen in ihrem ordentlich gekämmten Haar erkennen, über den Schläfen und am Scheitel. Sie ist heute vollkommen ungeschminkt und sieht, trotz der grauen Haare, jung aus. Die Perlen um ihren Hals signalisieren Klasse und noch etwas anderes, vielleicht eine konservative Haltung, vielleicht trägt man als Karrierefrau auch einfach so etwas, ein Attribut, genauso selbstverständlich wie der Schlips des Mannes. Ich kenne die Codes in ihrer Welt nicht, kann die Signale nicht dechiffrieren.
»Wenn Sie zurückblicken, Charlotte, denken Sie, die Therapie hat so funktioniert, wie Sie es sich vorgestellt haben?«
Charlottes Blick ist immer noch auf einen unsichtbaren Punkt hinter Björns Garten fixiert, aber ich kann sehen, dass sie zurückkommt. Langsam sammelt sie sich und streicht mit einer langsamen, sorgfältigen Geste über ihr schwarzes Wollkleid.
»Es war leichter, als ich geglaubt habe. Das mit dem Essen war leichter, als ich dachte«, korrigiert sie sich und sieht mich geradewegs an. Ich verstehe, worauf sie hinauswill.
»Und, wenn das mit dem Essen leichter war, was war dann schwerer?«
»Das ist schwierig zu erklären.«
Charlotte hebt die Hände, als wollte sie einen fiktiven Gegenstand vor sich in der Luft untersuchen, als könnten ihr die Hände helfen, das zu definieren, was sie nicht verbalisieren kann.
»Es ist nämlich so«, setzt sie zögernd an. »Wenn wir ehrlich sind, und das soll man ja hier drinnen …«
Sie lacht auf und macht eine weit ausholende Geste ins Zimmer hinein, vom Fenster hinten bis zur Kleenexpackung auf dem Tisch.
»Ich bin eine etwas sperrige Person.«
Ich schüttle den Kopf und öffne den Mund, um zu protestieren, aber sie hebt die Hand, um mich zu stoppen.
»Doch, doch, ich bin sperrig. Und tüchtig. Und folgsam. Und gerade deshalb glaube ich, dass diese Art von Therapie bei mir besonders gut geklappt hat. Ein Programm, dem man folgen muss, Übungen, die durchzuführen sind. Das passt zu mir, wissen Sie. Das war … einfach. Das Schwere war… die Kontrolle zu verlieren. Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht mehr, wer ich war. Das Schwere war, dass die Krankheit ein Teil von einem selbst wird, wenn man so krank ist, wie ich es war. Man wird die Krankheit, vielleicht kann
man es so sagen. Sie wird sozusagen die Maske, durch die hindurch man die Welt betrachtet.«
»Die Persona?«
»Die was?«
Charlotte sieht mich fragend an.
»Ach, nichts. Erzählen Sie weiter.«
»Ja, ich meine, auch wenn die Krankheit vor anderen verborgen werden kann, so weiß man es doch selbst genau. Und wenn sie verschwindet, dann bleibt irgendwie nichts übrig. Es fühlt sich an wie… wie ein Loch, man weiß nicht mehr, wer man ist. Aber man muss das Loch füllen, dieser Hohlraum muss mit irgendetwas anderem gefüllt werden. Man muss ein neues Selbst schaffen. Und das war schwer. Und ich glaube, das war der Grund, der dazu geführt hat … dass ich mich so komisch verhalten habe. Klingt das merkwürdig?«
»Ganz und gar nicht. Ich würde sagen, Sie haben eine sehr übliche Reaktion beschrieben. Auch wenn sie sich jeweils unterschiedlich darstellt. Und was denken Sie, wie fühlen Sie sich heute?«
»Ob das Loch gefüllt wurde, meinen Sie?«
»Haben Sie es gefüllt?«
»Nein. Aber ich habe angefangen, es zu akzeptieren. Es ist vielleicht auch gar kein richtiges Loch, es ist vielleicht nur ein eingebildeter Hohlraum. Wie eine Höhle, die entsteht, wenn man einen Tumor oder einen kranken Körperteil entfernt. Ein Phantomloch … Und ich glaube nicht mehr, dass ich verrückt werde. Manchmal habe ich im Gegenteil das
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