Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
waren.
»Aaaauaaa!«, schrie ich.
Dann fiel ich zwischen gemusterten Fausthandschuhen, Trainingsanzügen und sorgfältig gestapelten Bündeln von »Meine Wahre Geschichte« in Ohnmacht.
Datum: 21. August
Uhrzeit: 15.00 Uhr
Ort: grünes Zimmer, Praxis
Patientin: Sara Matteus
»Ich muss Ihnen was erzählen!«
Sara kratzt aufgeregt mit einem langen, grün angemalten Fingernagel den Schorf auf ihrem Unterarm auf. Kratzt, zupft, zieht den Schorf ab, bis endlich die Wundflüssigkeit heraussickert.
»Ja, gern«, erkläre ich aufmunternd und studiere Sara das erste Mal während unseres Gesprächs eingehend. Sie erscheint aufgekratzt und energisch. Manisch. Das Feuerzeug trommelt immer schneller auf der Zigarettenpackung, und Sara reißt die Augen auf. Es fällt ihr offensichtlich schwer, still zu sitzen. Angeturnt, durchfährt es mein zynisches Gehirn, aber ich weiß, dass es nicht stimmt. Sara ist clean.
»Ich habe einen Mann kennen gelernt!«
Diskret schaue ich auf meinen Notizblock, damit mein Blick nicht verrät, was ich denke, doch Sara hat mich bereits durchschaut.
»Ich weiß , was Sie denken, aber dieses Mal ist es anders! Und ich weiß, dass Sie jetzt denken, dass ich das jedes Mal sage, aber dieses Mal stimmt es. Echt! Er ist viel älter als ich. Er hat einen richtigen Job, ist verdammt tüchtig. Verdient scheiß viel Geld. Auch wenn das nicht so wichtig ist«, fügt sie noch
hinzu, um die Tatsache herunterzuspielen, dass der Mann, den sie kennen gelernt hat, rein äußerlich über die richtigen Eigenschaften verfügt.
Sie senkt ihre Stimme und flüstert theatralisch:
»Er sieht mich und versteht mich wie noch nie jemand vorher. Verstehen Sie es nicht falsch, aber ich kann mit ihm über Dinge reden, die ich niemandem sonst sagen kann, nicht einmal Ihnen. Er hört mir stundenlang zu. Hört sich meine Litaneien an, wissen Sie.«
Sara lächelt, zündet sich eine Zigarette an und schüttelt langsam den Kopf, was ihre blonden Haarwürste über die Schultern tanzen lässt.
»Er will, dass ich bei ihm einziehe.«
Das sagt sie langsam und in einem nachdenklichen Tonfall, aber in der Art, wie sie den Satz ausspricht, liegt auch etwas Triumphierendes.
Ich ordne meine Papiere und versuche, nicht auf ihre geröteten Wangen und ihren trotzigen Gesichtsausdruck zu starren.
»Ich freue mich für Sie, Sara. Wirklich. Wie lange kennen Sie diesen … Mann schon?«
Sara schaut zu Boden, lässt den Oberkörper auf den Knien ruhen und wiegt den Kopf langsam hin und her.
»Nun ja, ein paar Wochen. Aber wir treffen uns wahnsinnig oft. Die Tasche habe ich von ihm gekriegt«, ergänzt sie dann, und wie um die Legitimation ihrer Beziehung zu beweisen, hält sie die überdimensionierte, mit dem entsprechenden Monogramm gemusterte Guccitasche hoch.
»Er lädt mich zum Essen ein.«
Ich sage nichts.
»Er ist lieb zu mir.«
Sara zuckt mit den Schultern und sieht mich fragend an, als warte sie auf meine Zustimmung.
»Sara, Sie sind erwachsen und brauchen meine Zustimmung nicht, wenn Sie eine Beziehung eingehen«, erkläre ich, aber mein Tonfall verrät, dass ich mir Sorgen mache.
Es hört sich nicht richtig an. Ein erfolgreicher Mann mittleren Alters umwirbt ein junges Mädchen mit knallgrünem Nagellack, eine charmante Borderline-Persönlichkeit, deren Arme und Beine aufgrund all der Narben von Rasierklingen und Messern ein Zebramuster aufweisen. Zu meiner Verwunderung fürchte ich, er könnte Sara ausnutzen.
Nachdem Sara gegangen ist, bleibe ich noch eine Weile in meinem grünen Zimmer sitzen und schaue aus dem Fenster. Saras Freunde haben sich die Klinke in die Hand gegeben, seit ich ihre Therapeutin bin. Meistens waren sie in ihrem Alter, nicht selten mit Problemen, die ihren eigenen ähnelten. Unstete, heruntergekommene junge Typen mit Narben von Nadeln und Gott weiß was noch. Und anderen, viel schlimmeren Narben, eingeritzt in die Seele selbst. Jedes Mal war Sara gleich enthusiastisch, gleich hingerissen vor Verliebtheit, und jedes Mal endete es gleich: in bodenloser, finsterster Verzweiflung.
Ich wünschte, ich könnte verhindern, dass es wieder passiert.
Ich habe Stefan vor sieben Jahren bei einem Scheunenfest in der Nähe von Eslöv in Skåne kennen gelernt. Es war an einem schönen, aber ziemlich kalten Hochsommerabend. Ich erinnere mich daran, dass er warme Hände hatte und mir großzügig sein Jackett lieh, als wir durch den Raps spazieren gingen. Er faszinierte mich, was zumindest teilweise
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