Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
daran lag, wie mir später klar wurde, dass wir so unterschiedlich waren. Stefan war groß und blond – ich klein, zartgliedrig mit schwarzem, kurzgeschnittenem Haar und einem jungenhaften Körper. Er war immer fröhlich, nie schwermütig, hatte Unmengen von Freunden und immer etwas vor. Ich glaube, ich hoffte, dass ein wenig von seiner Lebensfreude auf mich abfärben würde. Und das tat es auch.
Es ist so merkwürdig, dass es Stefan nicht mehr gibt. Aber ich glaube, ich habe Stefans Tod akzeptiert. Diese absolute Lähmung und dieses panikartige Gefühl der Einsamkeit sind schon lange fort und haben stattdessen einer weichen, wehmütigen Trauer und einer fast greifbaren Leere Platz gemacht: mein Körper, der sich immer noch daran erinnert, wie weich seine Haut sich anfühlte, meine Hände, die das Gefühl vermissen, sein festes blondes Haar zu berühren, meine Zunge, die sich nach dem Salz auf der Haut in seinem Nacken sehnt.
Ich bin also Witwe. Wie kann man Witwe sein, wenn man vierunddreißig Jahre alt ist? Denen, die mich nicht kennen, sage ich immer, ich sei Single. Ich möchte nicht in irgendwelche Diskussionen über den Tauchunfall verwickelt werden
oder zu hören bekommen, dass sie ganz genau wissen, was für ein Gefühl das ist, da sie vor hundert Jahren einmal ganz genau das Gleiche erlebt haben, oder dass es gut für mich wäre, häufiger raus zu kommen, oder etwas anderes, was mich nur wütend macht.
Meinen Freunden, die bereits alles wissen, brauche ich nichts zu erklären. Sie lassen mich sein, wie ich bin, und haben nicht das Bedürfnis, die Stille mit sinnlosem Geplapper anzufüllen. Sie lassen mich in meinem Häuschen sitzen und Wein schlürfen, statt mich in irgendwelche Kneipen zu zwingen.
Für meine Patienten bin ich die Therapeutin, und niemand fragt jemals nach meinem Privatleben, was eine Erleichterung ist.
Ich bin ein professioneller Seelenklempner ohne Vergangenheit.
Das gefällt mir.
Stefan absolvierte seine Assistentenzeit im Krankenhaus von Kristianstad, und ich arbeitete in Stockholm. Die dauernde Hin- und Herfahrerei war belastend. Wenn Stefan in Stockholm war, wurde er in meiner kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in der Luntmakargatan einquartiert. Dann entwickelte sich ein Muster, dem wir im folgenden Jahr folgten: Die Woche über waren Arbeit und Freunde dran, am Wochenende genossen wir die Abgeschiedenheit in meiner Wohnung. Wir verbrachten die Zeit von unserer Sehnsucht getrieben vollkommen aufeinander fixiert in meinem schmalen, unbequemen Bett.
Alle meine Freunde waren der Ansicht, dass Stefan gut für mich war. Er ließ mich aufblühen und dämpfte meine finsteren, grüblerischen Seiten. Er hatte ein unkompliziertes Verhältnis zu den großen Lebensfragen und begegnete meinen Grübeleien nicht selten mit Erklärungen wie: »Wenn du dich
mehr bewegen würdest, dann würdest du dich anders fühlen.« oder: »Hör auf, daran zu denken, und hilf mir lieber mit dem Brett hier.« Seine handfeste Art, behutsam meine Gedanken aus den finsteren Gewölben zu vertreiben, funktionierte gut, und ich vermisste meine tiefe, schwermütige Seite nie. Ich hatte immer schon ein gespaltenes Verhältnis zu meiner Tendenz gehabt, Gefühle und Probleme ständig zu hinterfragen, und nahm deshalb seine direkte, einfache Art voller Freude an.
Dann begann Stefan seine Facharztausbildung im Söderkrankenhaus. Keiner wunderte sich, dass er sich für die Orthopädie entschied. Das war ganz Stefan. Wenn etwas kaputt war, dann wollte er es auf der Stelle reparieren, nicht irgendwelche Untersuchungen durchführen oder sich in tiefschürfende Diskussionen stürzen, warum es nicht funktionierte.
Als Jenny Andersson, eine meiner Patientinnen, Selbstmord beging, war Stefan eine große Stütze. Ich selbst verlor mich in Zweifeln und Selbstanklagen, stellte sowohl meine Berufswahl in Frage als auch meine Fähigkeiten als Mensch. Stefan ließ mich einsehen, dass ich nicht die Verantwortung trug. Auf seine handfeste, analytische Art erklärte er mir, dass weder ich noch irgendjemand sonst es verhindern könnte, wenn jemand sich wirklich das Leben nehmen wollte. Ich erinnere mich immer noch an unsere damalige abendliche Diskussion, nachdem Stefan mich mit der Patchworkdecke zugedeckt hatte, die seine Großmutter in den Sechzigerjahren aus alten Taschentüchern zusammengenäht hatte.
Ich meinte zu Stefan, dass ich der Meinung sei, ich hätte sehen müssen, dass so etwas passieren würde.
»Wieso?«, fragte er und
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