Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Sven zuwirft, distanziert und vorwurfsvoll ruht ihr Blick in seinem, und ich ahne, dass sie ihm nur schwer verzeihen kann, dass er über sie gelacht und damit bewusst oder unbewusst dazu beigetragen hat, dass sie vor aller Augen ihr Gesicht verloren hat. Und ich nehme an,
dass auch Sven das spürt, denn er verstummt plötzlich, steht auf und geht wortlos mit schwankenden Schritten zum Waldrand, das Schnapsglas immer noch in der Hand.
Warum muss alles so schwierig sein? All diese Konflikte, Menschen, die sich aneinander reiben wie die Steine am Strand, bis nichts mehr übrig ist. Das scheuert und brennt.
Mit zunehmender Dunkelheit steigt auch der Alkoholpegel. Aina sitzt am Tischende auf Roberts Schoß. Ich kann sehen, wie ihre Hand seinen Schenkel streichelt und dass er ihre Brust unter dem Pullover berührt. Ihre Küsse sind intensiv, und ich ertappe mich dabei, wie ich mich abwende.
Christer und Marianne scheinen sich nicht um Aina und Robert zu kümmern. Stattdessen versuchen sie einander in schmutzigen Trinkliedern zu übertrumpfen. Es ist mir ein wenig peinlich, als Marianne lauthals grölt, dass sie noch nie etwas Nacktes gesehen habe, während sie gleichzeitig wohl ihre dreißigste Zigarette raucht. Birgitta sitzt schweigend da, die Mundwinkel demonstrativ nach unten gezogen, die Hände zu Fäusten geballt.
Und jetzt kommt Sven aus dem Nadelwald zurück, in der Hand eine Gitarre, und mir wird klar, dass sich der Abend seinem Höhepunkt nähert: Sven wird spielen und singen. Sein Repertoire besteht aus einer Anzahl alter Mikael-Wiehe-und Hoola-Bandoola-Stücken, gewürzt mit dem frühen Ulf Lundell. Ich bin mir sicher, dass ich mich werde übergeben müssen, und zwar richtig, im Gegensatz zu Roberts Scheinwürgeaktion, wenn ich »Du bist das Schööööönste, was ich keeeeenne« mit falschem schonischem Akzent noch einmal ertragen muss. Deshalb entschuldige ich mich, nehme mein Weinglas und eine Taschenlampe und gehe auf wackligen Beinen hinunter zum Wasser.
Die fröhlichen Stimmen werden leiser, statt ihrer treten
nächtliche Geräusche hervor: Wellen, die gegen die Felsen schlagen, gemischt mit dem Geräusch eines in der Ferne tuckernden Motorboots. Hinter mir höre ich entschlossene Schritte, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie sich eine Silhouette dem Bootssteg nähert.
Es ist Christer.
»Hast du auch genug davon?«
Er sieht mich fragend an und lächelt dabei.
Ich drehe den Lichtkegel der Taschenlampe nach unten auf den mit Tannennadeln bedeckten Boden. Die Baumwurzeln werfen lange Schatten über den Weg. Ein Nachtfalter fliegt scheinbar planlos hin und her durch den Lichtkegel.
»Mmm, es ist mir immer etwas peinlich, wenn erwachsene Menschen anfangen, sich wie Teenager zu benehmen, aber eigentlich«, fahre ich nach kurzem Zögern fort, »eigentlich haben sie ja nur ihren Spaß. Ich fürchte, ich bin diejenige, die der hoffnungslose Spielverderber ist.«
Christer lacht.
»Dann sind wir schon zu zweit. Das mit Gitarre und Rotwein ist nie so richtig mein Ding gewesen, aber vielleicht ist das ja typisch für Psychologen«, fährt er in einem neckenden Ton fort.
»Nun ja«, erwidere ich, »das kommt darauf an, um welchen Psychologen es sich handelt. Wenn du deine Ausbildung vor zweiundachtzig gemacht, in einer Wohngemeinschaft gewohnt hast und auf dem Ökotrip gewesen bist, dann vielleicht …«
»Aber Siri, bist du nicht selbst auf dem Ökotrip?«
»Ich – auf dem Ökotrip?«
Ich verstehe nicht, was er meint.
»Na, du wohnst doch hier ganz allein, machst du das nicht, um der Natur so nahe wie möglich zu sein?«
Er lacht wieder, und ich spüre, wie es mir schwer in der Brust wird. Ich bin nicht fähig, meine Gründe zu erklären.
»Ich habe hier mit meinem Mann gelebt.« Meine Antwort ist kurz und knapp und signalisiert deutlich, dass ich dieses Thema nicht weiter vertiefen möchte.
»Oh«, sagt Christer nur und sieht nachdenklich aus. »Aber du bist doch nicht geschieden?«
»Witwe«, antworte ich kurz. »Und ich möchte nicht weiter darüber sprechen«, füge ich sicherheitshalber hinzu.
»Tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich erscheinen, das habe ich nicht gewusst.«
Christer sieht aus, als tue es ihm ehrlich leid, und ich bedeute ihm mit einer Geste, dass ich verstehe und dass es schon in Ordnung ist.
»Aber das ist ein schönes Haus«, fährt er fort. »Es hat wirklich Charme, auch wenn du die Fassade mal streichen und vielleicht die Fenster erneuern solltest.«
Mir
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