Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
verwunderlich ist. Aber immerhin gibt es inzwischen einen »Christer«, der immer häufiger in der Mittagspause und in der Kaffeeküche erwähnt wird.
Nach Ainas Theorie leben Christer und Marianne in einer Art asexueller Symbiose, einer Gemeinschaft, die eher aus Golf, Theater und Wochenendausflügen besteht als aus Leidenschaft. Eines Morgens beim Kaffee verkündete Marianne nämlich ganz unbefangen, dass sie »diese Sache mit dem Sex« hinter sich habe, was ein »befreiendes Gefühl« sei. Aina verdrehte
nur die Augen und unterdrückte ein Kichern, worauf Marianne beleidigt schnaufte: »Nun, vielleicht solltest du das auch mal in Erwägung ziehen …«
Welche Beziehung zwischen Marianne und mir besteht, ist ziemlich ungeklärt. Ich weiß nicht so recht, was ich von ihr halten soll. Sie ist kompetent, schreibt die Berichte, schickt Rechnungen raus und kümmert sich um andere praktische Dinge. Die Arbeit in der Praxis ist einfacher geworden, seit sie bei uns ist. Gleichzeitig können mich ihre Geschäftigkeit und aufgesetzte Hektik nerven. Manchmal habe ich das Gefühl, als behandele sie Aina und mich wie zwei kleine Mädchen, die sich nicht allein die Nase putzen können. Sie hat den Drang zu dominieren, und ein paar Mal hat sie mir in aller Freundschaft Tipps gegeben, was verschiedene Patienten betrifft, etwas, was mich wahnsinnig vor Wut macht. Wenn Aina und ich ihre kleinen Mädchen sind, ist Sven dagegen ihr Gott. In seiner Eigenschaft als älterer Mann ist er der König der Praxis und muss auch als solcher behandelt werden. Seine Berichte werden als Erste geschrieben, und seine Briefe landen am schnellsten im Briefkasten.
»Siri, du solltest wirklich nach Hause gehen. Du überanstrengst dich noch.«
Marianne sieht ehrlich besorgt aus, und sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, meine Gedanken sind mir peinlich, denn ihre Fürsorge ist echt, und ich sitze hier und habe ungerechte, hässliche, dunkle Gedanken hinsichtlich ihrer Person.
»Ich will nur noch ein paar Patientenberichte abschließen«, antworte ich und versuche fröhlicher auszusehen, als ich bin.
»Weißt du, Siri, du bist wirklich wichtig für die Praxis und für deine Patienten, aber du leistest uns einen Bärendienst, wenn du dir zu viel zumutest. Geh nach Hause! Oder guck dir einen schönen Film an oder trink ein Glas Wein mit einer
Freundin. Tu, worauf du Lust hast, aber sitz nicht weiter hier herum. Es ist so ein schöner Sommerabend, und du sitzt hier und … puzzelst an deinen Aufzeichnungen herum. Geh nach Hause!«
Sie sieht so resolut aus, dass ich kichern muss. Mariannes Fürsorge erscheint mir plötzlich angenehm, und ich spüre, wie sich eine Wärme in mir ausbreitet. Ich stehe auf und schiebe meinen Stuhl unter den winzigen Tisch.
»Du hast Recht, ich werde jetzt nach Hause gehen. Und du hast auch Recht – ich bin hoffnungslos. Ich werde nach Hause fahren. Mir einen Film ausleihen und Süßigkeiten essen.«
»Braves Mädchen. Dann sehen wir uns Samstag«, nickt sie. »Beim Krebsessen, das wird bestimmt lustig, ich werde Christer mitbringen.«
Marianne streicht mir fast zärtlich mit ihrer rundlichen Hand über den Arm, einer Hand, die voller Leberflecken ist, und ich überlege einen Moment, ob ich sie falsch eingeschätzt habe.
Vielleicht habe ich mir auch einfach nie die Zeit genommen, wirklich herauszubekommen, wer sie eigentlich ist.
Eine Autohupe durchschneidet die Stille, Autotüren werden geöffnet und wieder zugeschlagen, und kurz darauf sind Stimmen zu hören. Ich stehe in der Küche und schaue über die Bucht. Es ist Zeit für eine der gemeinsamen Zusammenkünfte. Wie in den meisten Betrieben versuchen auch wir den Zusammenhalt mit Festen und gemeinsamen Essen zu verstärken: Weihnachtsessen im Dezember, Picknick im Juni und ein Krebsfest Ende August. Ich weiß nicht, ob diese Aktivitäten uns tatsächlich näher bringen oder ob die anderen sie genau wie ich eher als notwendiges Übel ansehen. Stunden, die überstanden werden müssen, um der Mitarbeiter willen.
Bei einigen früheren Verabredungen ist es mir gelungen zu schwänzen, indem ich eine Erkältung oder eine plötzlich auftretende Migräne als Vorwand benutzte. Heute Abend ist das unmöglich, da das Krebsfest traditionell bei mir stattfindet. Ich tue, was ich immer zu tun pflege. Erdulden, trotz einem leichten Magengrimmen. Morgen wird das Fest der Vergangenheit angehören.
Ich decke mein altes, abgestoßenes Porzellanservice auf,
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