Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
…«
»Was, Charlotte, was haben Sie gedacht?«
Charlotte reibt die Handflächen aneinander und schaut zu Boden.
»Ich habe gedacht, dass es genauso ist…«
»Was meinen Sie damit?«
Charlotte windet sich auf dem Sessel wie ein Aal. Es scheint ihr zu widerstreben, meine Frage zu beantworten.
»Ich meine… man geht so daher, man ist glücklich… vielleicht, na, jedenfalls … zufrieden, man glaubt, alles wäre gut. Aber dem ist nicht so.«
Ich beuge mich zu ihr vor, will die Fortsetzung hören.
»Es ist nicht gut. Nicht wirklich. Irgendwo blutet man. Ohne davon zu wissen. Vielleicht hat man einen Tumor im
Magen, der zur Größe einer Apfelsine anwächst, während man dort entlang geht – unwissend, grinsend. Vielleicht vögelt gerade der eigene Mann mit der besten Freundin … die Sache ist doch die …«
Charlotte schluckt, und ich kann sehen, dass ihre Unterlippe leicht zittert.
»Die Sache ist doch die … die Sache ist die, dass es nun einmal so ist mit dem Leben. Dass man sich nie auf etwas oder jemanden verlassen kann. Dass alle im Grunde genommen … egoistisch sind. Dass das Leben selbst… unzuverlässig ist. Und ich dumme Kuh bin so naiv gewesen. Habe das erst jetzt erkannt.«
Ich sehe die Tränen über Charlottes Wangen laufen. Sie sieht mich mit einem flehenden Blick an, ihre Stimme ist leise und spröde, als sie wieder anfängt zu reden.
»Sagen Sie mir bitte die Wahrheit, Siri. Bin ich dabei, verrückt zu werden?«
Sven dreht sich auf seinem abgewetzten Schreibtischstuhl um. Mit viel gutem Willen könnte man ihn als retrotrendiges IKEA bezeichnen, späte Siebziger, der senffarbene Stoff hängt in langen Fetzen zu Boden und entblößt die Schaumgummifüllung, die wie ein obergäriger Hefeteig zwischen den Rissen hervorquillt. Er hat sich die Schuhe ausgezogen. Ich weiß nicht, warum, aber ich bin allergisch gegen Männer, die das tun. Im Flugzeug, im Büro, im Bus … überall diese stinkenden Strümpfe. Aber Sven scheint meinen missbilligenden Blick gar nicht zu sehen. Er deutet auf den einzigen Stuhl im Zimmer, der nicht mit Notizen, Berichten und Büchern vollgemüllt ist.
»Siri, setz dich.«
Sein Tonfall ist freundlich, aber ich kann ihm ansehen, dass er müde ist, vielleicht auch irgendwie irritiert, als er sich die Lesebrille abnimmt und sich das Gesicht reibt.
»Scheiße, ich müsste mal sauber machen… aber…«
Er verstummt und mustert mich, die ich ihm auf dem alten Holzstuhl direkt gegenübersitze.
»Wie geht es dir eigentlich? Kannst du schlafen?«
Alle diese Fragen: Schläfst du? Säufst du? Wie geht es dir? Eigentlich?
»Danke, es ist schon in Ordnung.«
Ich sehe ihm an, dass er mir nicht glaubt, aber was macht das schon? Deshalb bin ich ja nicht hier.
»Du, Sven …«
»Mhm.«
Sven sieht mich weiter an, während er die Pfeife nimmt und anfängt, sie zu stopfen. Wir waren darin übereingekommen, dass er im Büro nicht raucht, aber alle wissen, dass er es heimlich tut. Manchmal riecht es bis ins Treppenhaus. Offenbar hat er beschlossen, dass es keine Rolle spielt, ob ich ihn heute rauchen sehe oder nicht. Vielleicht liegt es daran, weil ich jetzt offiziell mit Alkohol am Steuer erwischt wurde und dies irgendwie sein Verhalten entschuldigt.
»Kannst du … kannst du Peter Carlsson als Patienten übernehmen?«
Sven zuckt mit den Schultern und zündet die Pfeife an.
»Nase voll?«
»Ja.«
Es ist eine Erleichterung, dass er mich sofort versteht, keine langen Erklärungen von mir verlangt. Aber er kennt Peters Problematik ja.
»Doch, das kann ich wohl machen. Ich sehe da keine Probleme.«
Ich fühle mich dankbar, weiß aber nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es ist auch ein bisschen peinlich, allein in einem Raum mit Sven zu sein. Das waren wir seit seinem unerwünschten Annäherungsversuch in meiner Küche nicht mehr.
»Da ist noch etwas.«
Ich versuche eine klare Formulierung zu finden. Ich will das, was damals passiert ist, noch einmal ansprechen. Es damit aus der Welt schaffen, bin mir aber unsicher, wie ich anfangen soll.
»Das Krebsessen?«
Sven wartet meine Bestätigung ab.
»Das Krebsessen, ja.« Ich nicke bestätigend.
»Ja, das war wirklich dumm, dass Birgitta das gesehen hat.«
Ich bin erstaunt. Vielleicht hatte ich eine Entschuldigung erwartet.
Vielleicht eine Ausrede, aber nicht einen Kommentar dahingehend, dass es Pech war, dass seine Frau hinzugekommen ist, als er mich betatschte. Er lässt es so klingen, als wäre sein Übergriff
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