Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
etwas gewesen, das wir beide genossen hätten. Ich frage mich, ob er das vielleicht wirklich so sieht. Ob er sein Verhalten entschuldigt, indem er mich daran teilhaben lässt.
»Ach ja, und was hat Birgitta dazu gesagt?«
Ich höre, wie sarkastisch das klingt.
»Ja, das würdest du gerne wissen, nicht wahr? Ihr seid doch alle gleich.«
»Wieso gleich? Was meinst du? Wer?«
»Die Frauen. Ihr. Seid gleich. Alle Frauen. Neugierig. Klatschsüchtig.«
Jetzt ist etwas Dunkles in seinem Blick. Er bläst eine Rauchwolke zwischen uns, streckt sich nach dem Telefon, gibt mir zu verstehen, dass das Gespräch beendet ist. Ich stehe auf, überrascht darüber, wie unangenehm ich mich plötzlich fühle, als hätte er mich erniedrigt. Hat er das vielleicht?
Ich bleibe in der Tür stehen, aber er dreht sich halb um, wendet mir den Rücken zu und tippt eine Nummer in sein Handy ein.
Ihr Haus war nachts wie ein Aquarium. Es erleuchtete die ganze Bucht, lag wie ein dicker Quader dort zwischen den Klippen. Ich schaute das Haus an, und das Haus erwiderte meinen Blick mit seinen leuchtend gelben, aber immer gleichgültigen Augen.
Von meinem Platz auf den glatten Felsplatten – immer noch warm nach dem sonnigen Tag – konnte ich jeden Schritt verfolgen, den sie machte, aber sie konnte mich nicht sehen, während sie von Zimmer zu Zimmer lief, eine gigantische Taschenlampe fest in der einen Hand und ein Weinglas in der anderen.
Ein paar Schritte dahinter ging die andere mit ihrem struppigen blonden Haar, das sie in einem lockeren Knoten hochgesteckt hatte. Eine Brust rutschte ihr fast aus dem winzigen Leinenhemdchen, das sie trug, und ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Als hätte sie meine Gedanken lesen können, wandte sie sich langsam dem Fenster zu, und eine Sekunde lang konnte ich sie direkt von vorn sehen. Sie ließ die Zunge genussvoll über die Oberlippe streichen und lächelte.
Ich war ganz nahe dran, vielleicht zwei Meter von der Fensterscheibe entfernt. Sie standen in der Küche. Füllten Katzenfutter in eine Schale. Gleich würde sie die Schale mit dem Futter für die Katze auf die Treppe hinausstellen. Am nächsten Morgen würde sie die Schale wieder hereinholen, genauso voll mit Futter wie am Abend, als sie sie rausgestellt hatte.
Langsam wich ich vom Fenster zurück und ging wieder zu meinem einfachen Nachtlager hinter den großen, runden Felsen. Lag in dem dünnen Schlafsack still da, ohne zu schlafen, bis die
Morgendämmerung einsetzte und die Sonne warme, gelbe Pinselstriche auf die nackten Felsen malte.
Und plötzlich war sie wieder bei mir: Ihr glänzendes Haar war in dem mit Tau bedeckten Laub des Waldes, das im Morgenlicht glitzerte.
Wie Sonnenflecken.
Ich streichelte es mit meinem Blick.
Ihre Haut war im kalkweißen Stamm der schmächtigen Birke, die sich schamlos vom Herbststurm beugen ließ. Und ihr Blut war meines. Sie war ich, wir waren ein und dasselbe, zwei Inkarnationen desselben Wesens, der Sehnsucht nach dem Leben an sich.
Des Gefühls des Mangels.
Alles, was ich tue, tue ich IHRETWEGEN. Um Gerechtigkeit walten zu lassen, dort, wo es keine Gerechtigkeit gibt, einen Sinn im Sinnlosen zu schaffen. Das ist auch das Einzige, was ich kann.
Ich weiß keine andere Möglichkeit. Ich habe nie eine Wahl gehabt. Das weiß ich, und dieses Wissen schenkt mir Trost. Befreit mich von Schuld.
Aina und ich liegen auf Lasses Arsch und hören die Wellen gegen die großen Felsen glucksen. Die Septembersonne wärmt angenehm, auch wenn jetzt eine doppelte Schicht von Pullovern nötig ist, um draußen zu sein, ohne zu frieren. Wir haben noch einen Kater und sind mit Aspirin vollgestopft. Gestern ist es spät geworden. Es scheint, als hätte all das Schreckliche, das mich heimgesucht hat, dazu geführt, mich ans Äußerliche zu klammern. Einen sicheren, vorhersehbaren Zufluchtsort in meinem eigenen chaotischen Leben. Deshalb habe ich den gestrigen Tag damit verbracht, in alten Modezeitungen zu blättern und endlose Reportagen über Haarentfernung, Proteindiäten und anderen sinnlosen Kram zu lesen. Aina und ich haben eine unverantwortliche Menge an Chips gegessen und wie üblich viel zu viel Wein getrunken.
Langsam gehen wir einander auf die Nerven. Auch wenn sie meine beste Freundin ist, weiß ich, dass es bald an der Zeit für sie ist, nach Hause zu fahren. Mein kleines Haus empfinde ich mittlerweile als eng und drückend. Deshalb haben wir abgemacht, dass Aina mich heute verlassen wird.
Weitere Kostenlose Bücher