Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
organisierten, strukturierten Individuum zu tun habt.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Ich kann eine leichte Skepsis in Markus’ Stimme hören. Eine Skepsis, die ich bereits vernommen habe, als ich ihm vorschlug, wir sollten gemeinsam Vijay besuchen. Aber Vijay
scheint gar nicht darauf zu reagieren, er ist es gewohnt, Argumente für seine Ansichten vorzubringen.
»Der Tatort war ordentlich. Der Täter hat keine Beweise hinterlassen, abgesehen von denen, die er zu hinterlassen geplant hatte, das heißt, den Abschiedsbrief. Man unterscheidet bei dieser Art von Verbrechen zwischen zwei Hauptgruppen von Tätern. Die unorganisierten, von Impulsen gesteuerten Täter, die jemanden buchstäblich im Affekt erschlagen oder jemanden versehentlich töten, wenn etwa ein Raubüberfall schiefläuft. Sie haben in der Regel ihre Tat nicht geplant, sie hinterlassen oft Unmengen physischer Beweise, Kippen, Fingerabdrücke, Stofffäden, Körperflüssigkeiten und so etwas. Dann haben wir die gut organisierten, strukturierten Täter, die ihre Tat bereits lange im Voraus planen. Sie sind deutlich seltener. In dieser Gruppe gibt es viele unterschiedliche Typen von Tätern, alles von sexuellen Sadisten bis hin zu Psychopathen. Da sie weniger Beweise hinterlassen und, nun ja, schlauer sind, wie man es wohl bezeichnen kann, sind sie oft schwerer mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen.«
»Und wie sieht nun der typische Mörder aus?«, frage ich.
»Hm, wenn man es generell sieht und nicht gleich auf einen gut organisierten Mörder abzielt wie in eurem Fall, dann ist es meistens ein Mann. Er ist jung, so um die zwanzig, fünfundzwanzig, hat einen niedrigen sozioökonomischen Status, ist unverheiratet und oft drogensüchtig. Er hat vor kurzem einen gefühlsmäßigen Verlust erlitten, zum Beispiel ist er von seiner Freundin verlassen worden. Es ist auch häufig so, dass es mehrere Kriminelle im engsten Familienkreis gibt, wie beispielsweise Geschwister oder Eltern. Der typische Mörder hat außerdem oft eine lange kriminelle Karriere hinter sich, trotz seines niedrigen Alters. Das kann alles Mögliche sein, aber oft ist er im Polizeiregister zu finden. Und dann sind da noch
die anderen, früheren Probleme, wie Pyromanie, Probleme in der Schule und Ähnliches. Auch ganz üblich. Viele haben eine psychiatrische Problematik: Paranoia, Depression oder Schizophrenie sind nicht ungewöhnlich. Es gibt natürlich auch weibliche Mörder. Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie einen anderen Hintergrund haben. Oft stammen sie aus dysfunktionalen Familien, sind einem Missbrauch ausgesetzt gewesen, was aber auch für die Männer gelten kann.«
Vijays Stimme hat einen Vorlesungston angenommen, und es ist zu erkennen, dass er bei seinem Lieblingsthema ist. Ich weiß, dass er seine Ausführungen noch endlos weiterführen kann, wenn ihn niemand stoppt. Ich räuspere mich, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Vijay schaut mich an und zeigt ein schiefes Lächeln. Er hat meine Botschaft verstanden.
»Aber in diesem Fall treffen natürlich kaum die üblichen Beschreibungen zu. Dieser Mord wurde nicht ausgeführt von jemandem, der …«
Es klopft an der Tür, und Vijay steht auf, um zu öffnen. Eine Frau mittleren Alters mit festen Stiefeln und einer dicken, moosgrünen Strickjacke schaut mit furchtsamem Blick herein.
»Kaffee?«, fragt sie.
Natürlich, denke ich, sage aber nichts. Vijays Erwähnung der sexuellen Sadisten und Psychopathen nagt an mir. Böse Menschen. Hat Kerstin Matteus sie nicht so bezeichnet?
»Auf der Grundlage dessen, was Sie über diesen Täter wissen – unseren Mann – wer ist er?« Markus beugt sich vor zu Vijay, neugierig geworden.
»Ich würde vermuten, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelt, mit guter Ausbildung und gesellschaftlich gut funktionierend. Der Abschiedsbrief ist gut formuliert, ohne Rechtschreibfehler und so. Was auf ein sozial angepasstes Individuum hindeutet. Das Verbrechen scheint genau geplant
gewesen zu sein, und der Tatort – Entschuldigung, der Ort, wo die Leiche gefunden wurde – weist keinerlei physische Spuren auf. Was auch darauf hindeutet, dass er intelligent ist und vorausplanen kann. Außerdem scheint er die Fähigkeit zu haben, sich emotional von seinem Opfer abzusetzen, das heißt, er ist ein eiskalter Teufel. Das Opfer ist nur ein Steinchen in seinem Spiel, eine Person, auf die er verzichten kann. Er ist ›a man with a mission‹. Ausgehend von dem, was ihr berichtet
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