Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
weh.«
Vijay Kumar öffnet die Tür mit einem breiten Lächeln. Mit seinem schwarzen Schnurrbart und seinen weißen Zähnen sieht er noch genau so aus wie früher, und wir umarmen uns herzlich.
Wie viele Jahre ist es jetzt her, zehn? Ist das möglich? Vijay ging in denselben Studienkurs wie Aina und ich. Während des Studiums unternahmen wir viel zusammen. Nach der Ausbildung blieb er an der Stockholmer Universität, um in Psychologie zu promovieren. »A Comparative Study of Applied Methodologies for Inductive and Deductive Criminal Profiling«, hieß seine Abschlussarbeit. Ich muss zugeben, dass ich sie nie gelesen habe, obwohl auf Grundlage dieser Arbeit mehrere Artikel veröffentlicht wurden, unter anderem im »Journal of Forensic Psychiatry & Psychology«.
»Siri, meine Liebe.«
Vijay hält meine beiden Hände in seinen, auf eine Art, an die ich mich noch aus der Zeit erinnere, als wir viel miteinander zu tun hatten. Plötzlich ist mir diese Gefühlsäußerung peinlich, und ich nicke mit dem Kopf zu Markus hin.
»Vijay, das ist Markus, der Polizist, von dem ich dir erzählt habe. Ihr habt doch schon miteinander telefoniert, nicht wahr?«
»Ja, ich war es, der Ihnen die Fotos geschickt hat«, sagt Markus und gibt Vijay die Hand.
Wir folgen Vijays schlaksiger Gestalt durch den engen Korridor im Institut für Psychologie. Er trägt abgewetzte Jeans
und ein geblümtes Hemd. Als frisch gebackener Professor kann man sich offenbar kleiden, wie man will, denke ich.
Das Zimmer ist klein. Bücher bedecken alle Wände vom Boden bis zur Decke. Dort, wo es keine Regale gibt, liegen sie übereinandergestapelt und bilden riesige schiefe, unsichere Türme. Das meiste ist psychologische Fachliteratur, aber es sind auch ein paar Bücher über Kunst und Design dabei. Ich weiß, dass Vijay an Kunst interessiert ist. Er hat mir einmal im Vertrauen erzählt, dass er schwedische und dänische Konstruktivisten sammelt. Ich erinnere mich noch, dass ich zustimmend genickt habe, als wüsste ich, was ein Konstruktivist ist, und versprochen habe, niemandem von dem Geheimnis zu erzählen. »Allein Baertlingen« , flüsterte er, »allein der ist eine halbe Million wert .«
Im Fenster sehe ich das Bild eines blonden Mannes in Segelkleidung auf einem Anleger. Das ist Olle, Vijays Olle. Ich hatte vergessen nachzufragen, ob sie immer noch zusammen sind, als ich ihn anrief, vielleicht habe ich mich auch nicht getraut zu fragen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, da kann viel passieren.
Vijay stellt das Telefon ab, um störende Anrufe zu vermeiden, und wendet sich mir zu.
»Nun, Siri, meine Liebe. Nach allem, was ich verstanden habe, hast du ein dickes Problem am Hals.«
»Meinst du?«, antworte ich mit einer Frage.
»Ja, das ist meine Meinung«, sagt Vijay und holt eine dicke Plastikmappe mit Fotos und Papieren heraus.
Ich kann Saras weichen, toten Körper zwischen seinen behaarten Händen erkennen. Er sieht meinen Blick und schließt vorsichtig die Mappe, um sie dann auf den Schreibtisch zwischen uns zu legen.
»Zuallererst möchte ich, dass euch klar ist, dass meine Ausführungen
inoffizieller Natur sind. Eine richtige Untersuchung würde sehr viel mehr Zeit erfordern.«
Er breitet die Arme in einer entschuldigenden Geste aus und steht auf.
»Wollt ihr Kaffee?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, nimmt er den Telefonhörer ab und ruft jemanden an, um drei Tassen Kaffee zu bestellen.
»Ja, bringen Sie auch Milch und Zucker mit. Und solche Kekse mit Schokolade, Sie wissen schon … ja, genau, Cookies.«
Ich stelle mir vor, wie die Frau am anderen Ende der Leitung Vijays Bestellung aufnimmt, denn ich meine zu wissen, dass es immer Frauen sind, die so etwas tun.
»Ich bin das Material durchgegangen, Saras Akte, die Fotos vom Tatort, Entschuldigung, von dem Platz, wo die Leiche gefunden wurde, und den Polizeibericht.«
»Und, was glauben Sie?«
Markus sieht Vijay aufmerksam an.
»Also, die Arbeit eines Profilers, das ist ja keine exakte Wissenschaft. Ich beziehungsweise meine Kollegen, wir können euren Täter nicht exakt beschreiben, nur generelle Aussagen machen, die auf statistisch verifizierten Fakten von ähnlichen Verbrechen basieren. Beispielsweise kann ich sagen, dass der Täter mit fünfundneunzigprozentiger Sicherheit ein Mann ist, da die Mehrheit der Gewaltverbrechen von Männern begangen wird. Und dann deutet der Zustand des Tatortes und der Charakter des Verbrechens darauf hin, dass ihr es mit einem gut
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