Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid

Titel: Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Camilla;Träff Grebe
Vom Netzwerk:
zu und setzt sich mit deutlicher Anstrengung auf den vordersten Rand des Sessels. Sie ist in den Fünfzigern, deutlich übergewichtig, ihr Blick weicht meinem aus. Hin und her flattert er, durch den Raum und auf den Boden – nur meinem begegnet er nicht. Ihre Kleidung ist abgetragen. Sie sieht billig aus und ist zu eng für ihren kräftigen Körper. Das Top ist tief ausgeschnitten, und ich kann ihre sonnenverbrannte, faltige Brust sehen, die in einen viel zu kleinen BH eingezwängt ist. Der dunkle Scheitel verrät, dass das gefärbte Haar herauswächst. Sie umklammert eine schwarze Handtasche mit großen kahlen Flecken, an denen das glatte Plastik abgeblättert ist. Ich kann keinerlei äußere Ähnlichkeiten mit Sara feststellen. Wie diese Riesenfrau Mutter der kleinen, zarten Sara sein kann, überschreitet mein Vorstellungsvermögen. Aber sicher schluckt sie auch nicht seit Jahren
Psycho-Pillen, die effektiv alle Formen von Unterhautfett eliminieren.
    Plötzlich werde ich verlegen. Was sagt man einer Frau, die gerade ihr Kind verloren hat? Und spielt es dabei eine Rolle, dass das Kind nicht fünf, sondern fünfundzwanzig Jahre alt war und auf dem Weg in eine Gesellschaft, die die Verantwortung nicht mehr übernehmen wollte, sich nicht mehr für sie interessierte? Ein kaputter Mensch mit kaputten Genen und einer schweren Kindheit. Ich glaube, das spielt keine Rolle, der Schmerz ist sicher der gleiche. Ich räuspere mich und senke meinen Blick auf meinen Schreibtisch.
    »Kerstin«, setze ich vorsichtig an. »Es tut mir sehr, sehr leid, was mit Sara passiert ist. Wenn es irgendetwas gibt, wobei ich Ihnen helfen kann, sagen Sie es mir. Vielleicht haben Sie ja Fragen zu… zu Saras letzter Zeit. Wir haben uns ja häufiger gesehen, und sie hat wirklich Fortschritte gemacht.«
    Ich berichte kurz von der Therapie und Saras Entwicklung.
    »Es ging ihr viel, viel besser, sie hat sich nicht mehr geritzt. Überdies hatte sie wohl jemanden kennen gelernt, jemanden, den sie sehr mochte. Sie hat auch häufiger von Ihnen gesprochen, Kerstin. Ich weiß, dass sie Sie sehr geliebt hat, trotz der Probleme, die Sie im Laufe der Zeit miteinander hatten.«
    »Wer kann nur meine kleine Sara getötet haben?«
    Sie spricht langsam und ruhig, mit einer Stimme, die vom jahrelangen Rauchen, aber auch von der Trauer rau und kratzig klingt. Kerstin schaut zu meinen grünen Wänden hoch, dann zum Fenster, das auf den Medborgarplatz zeigt. Ich weiß nicht, ob sie erwartet, dass ich ihre Frage beantworte.
    »Nun ja, ich bin nicht von der Polizei. Ich habe nur Kenntnis von dem, was Sara und ich hier in der Praxis besprochen haben.«

    »Wie kann jemand so etwas einem anderen Menschen antun?«
    Ihr Blick weicht meinem immer noch aus, doch in ihrer Stimme ahne ich Entschlossenheit. Als wollte sie etwas Wichtigem auf den Grund gehen.
    »Eine böse Person, die muss es wohl gewesen sein, oder?«
    Zum ersten Mal während unseres Gesprächs schaut sie mich an, und ich nicke langsam, nicht in der Lage, ihre Frage zu beantworten. Eine böse Person. Natürlich.
    »Ich weiß nicht«, sagt sie, und ich bemerke, dass ihre Augen sich mit Tränen füllen.
    »Ich weiß nicht… wie ich damit klarkommen soll.« Ihre Stimme wird schrill, und sie beugt sich vor, stützt sich mit den Händen auf dem kleinen Tisch ab, der zwischen unseren beiden Sesseln steht. Ihr Kopf senkt sich langsam auf die Tischplatte hinunter, bis die Stirn auf der Tischdecke ruht und ich sehen kann, wie sich ihr rosa Nackenfleisch wölbt und aus dem Halsausschnitt hervorquillt. Ihr Weinen ist jetzt deutlich zu hören. Es ist diese unangenehme, unkontrollierte Art des Weinens. Die Menschen dazu bringt, zurückzuweichen vor Schreck, die Tränen, Spucke und Rotz in Bächen rinnen lässt. Hoffnungsloses, schutzloses, hemmungsloses Weinen.
    Ich kenne es nur zu gut.
    »Hier«, sage ich und biete ihr meine Packung mit Papiertaschentüchern an, als könnten ein paar Kleenex ihren Kummer lindern.
    Sie reagiert nicht.
    Ich hocke mich vorsichtig vor Kerstin Matteus und streiche ihr vorsichtig über das baumwollartige, gebleichte Haar. Ein leichter, aber unverkennbarer Duft nach Pfefferminzbonbons gemischt mit Alkohol begegnet mir, als sie schluchzt.
    »Das … tut … so … weh.«

    Sie bringt jedes Wort nur mit Anstrengung heraus.
    »Ich weiß«, sage ich.
    »Geht … das … irgendwann … vorbei?«
    »Nein«, antworte ich. »Das geht nie vorbei – aber es tut irgendwann nicht mehr so

Weitere Kostenlose Bücher