Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Dreißigern fährt mit seiner kleinen Tochter Rallye durch die Gänge. Überall ist eine Art merkwürdig jazziger Weihnachtsmusik zu hören, und in einer Ecke des Ladens werden schon Adventsgestecke und Sterne verkauft. Ich fühle mich einsam und von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen. Ich weiß, dass es in Stockholm viele Singlehaushalte gibt, ich bin nicht die einzige Fünfunddreißigjährige, die keine Familie hat, zu der sie nach Hause fahren kann. Aber genau in diesem Moment ist das kein Trost. Ich wünschte, ich wäre jemand anders, wer auch immer, aber nicht Siri Bergman. Vielleicht das Mädchen, das vor Lachen gluckst, als ihr Vater sie kitzelt, vielleicht die junge Frau mit dem osteuropäischen Namen, die hinterm Tresen mit den Delikatessen steht.
Wer auch immer, nur nicht ich.
Es ist nicht nur die Einsamkeit, die mich quält, sondern auch die Tatsache, dass jemand mich und mein Leben bedroht. Nachts kann ich nur schwer einschlafen, nachdem ich methodisch alle Daten, alle Verdächtigen durchgegangen bin. Ich durchforsche meine Vergangenheit, kann aber trotzdem nicht begreifen, wer mir so übel mitspielt. Manchmal habe ich Phantasien dahingehend, dass ich für etwas Schreckliches verantwortlich
bin, dass ich unbewusst einen Fehler begangen habe, der dazu geführt hat, dass Unschuldige meinetwegen leiden müssen. Werde ich für etwas Schreckliches bestraft, das ich begangen habe, ohne mir dessen bewusst zu sein?
Ich denke an Sara, und die Schuld ruht schwer auf mir. Wenn sie nur zu einem anderen Therapeuten gegangen wäre, in eine andere Praxis oder zu Aina, dann könnte sie heute noch am Leben sein. Aber Sara ist tot, weil sie meine Patientin war. Es ist mein Fehler. Und es gibt nichts, was ich tun kann, um es zu ändern.
Als Psychotherapeutin arbeitet man auf Veränderung und Verbesserung hin. Ich glaube, dass der Grund, Psychologin zu werden, für mich von Anfang an klar war: Menschen zu helfen. Ich werde von der Tatsache angespornt, dass ich helfen kann, im Leben eines Menschen eine Veränderung herbeizuführen. Nicht zu büßen oder zu heilen, sondern eine Veränderung zu bewirken. Das klingt jetzt vermessen. Ich habe wirklich in Saras Leben eine Veränderung herbeigeführt. Sie ist tot. Sie ist weg. Es gibt sie nicht mehr.
Und ich bin schuld daran.
Mein Handy klingelt, und es ist mir peinlich, als ich feststelle, dass ich erstarrt vor den Milchregalen stehe und die Leute daran hindere, an die gewünschten Dinge zu kommen. Ich weiche zurück und nehme das Gespräch an. Als ich auf dem Display sehe, dass es Markus ist, der anruft, spüre ich ein zartes Flattern im Magen, das aber nach kurzer Zeit wieder verschwunden ist. Ein Gefühl, so schnell, dass ich mir nicht sicher bin, ob es wirklich existiert hat.
»Hier ist Siri.«
»Hallo, Siri, hier ist Markus. Ich habe heute Abend frei, ja, und weil Ihr Kühlschrank so leer war und ich ein ganz guter Koch bin, habe ich gedacht, ob ich Sie nicht zum Essen einladen
soll? Sie wissen schon – ein richtiges Essen. Ich kann zu Ihnen kommen und da kochen … wenn Sie wollen.«
Meine spontane Reaktion ist Freude. Ein anderer Mensch im Haus. Jemand, der Essen kocht. Ein Mann, dem es gefällt, auf meinem Herd zu kochen. Ich stimme zu, ohne weiter nachzudenken. Wir verabreden einen Zeitpunkt und legen dann auf. Ich stelle die beiden Dosen Tomatensuppe zurück, die bereits in meinem Korb lagen, und gehe zum Ausgang.
Als Markus klingelt, ist es halb acht. Ich habe einigermaßen aufgeräumt und bin sogar mit dem Staubsauger durchs Haus gegangen. Ausnahmsweise habe ich mich auch angestrengt, was meine Kleidung und mein Aussehen betrifft. Rock und ein enges Oberteil statt Jeans und Strickpullover.
Ich bin nervös, froh und habe ein schlechtes Gewissen. Markus bleibt auf der Treppe stehen, und ich sehe, dass ich ihn überrasche, dass er mich genau betrachtet. Eine plötzliche Welle der Unsicherheit überrollt mich. Wenn ich jetzt die ganze Situation falsch verstanden habe. Aber Markus lächelt und geht an mir vorbei in die Küche. Ich trotte auf Strumpfsocken hinterher. Unmengen von Lebensmitteln türmen sich auf der Arbeitsplatte, daneben außerdem zwei Flaschen Wein.
»Ich werde kochen. Es soll eine Überraschung werden. Sie können schon mal decken. Und den Wein öffnen.«
Markus sieht vergnügt aus, und ich öffne eine Flasche Rotwein und schenke zwei Gläser ein. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Das hier ist kein Verhör, keine Befragung, kein Gespräch.
Weitere Kostenlose Bücher