Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Weibsstück zum ersten Mal im Ort sah.«
»Das müssen Sie mir schon näher erklären. Was hat sie denn um Gottes willen zu Ihnen gesagt, das Sie so beunruhigt?«
»Sie hat nichts gesagt. Ich habe mich gar nicht mir ihr unterhalten. Hab sie nur von weitem beobachtet und bin ihr dann zu Ihnen gefolgt.«
Komisch, dachte Viktor. Anna hat mir vorhin etwas ganz anderes erzählt. Aber warum sollte sie mich über eine Unterhaltung mit Halberstaedt anlügen?
»Auch Hinnerk hat gesagt, sie hätte sich verdammt merkwürdig verhalten, vor zwei Stunden in seinem Gemischtwarenladen.«
»Inwiefern merkwürdig?«, wollte Viktor wissen.
»Sie hat nach einer Waffe gefragt.«
»Wie bitte?«
»Ja. Erst wollte sie eine Harpune oder eine Leuchtspurpistole haben. Schließlich hat sie ein Tranchiermesser gekauft und mehrere Meter Angelschnur. Da fragt man sich doch – was hat die Frau vor?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Viktor gedankenverloren. Er wusste es wirklich nicht. Was wollte eine psychisch kranke Frau auf dieser friedlichen Insel mit einer Waffe?
»Nun denn.« Halberstaedt zog sich die Kapuze seines schwarzen Parkas über den Kopf. »Ich muss wieder los. Entschuldigen Sie die Störung.«
»Kein Problem.«
Halberstaedt lief die Verandatreppe hinunter und drehte sich vor der kleinen Pforte am Zaun noch mal zu Viktor um.
»Noch was, Doktor. Wollte es Ihnen schon die ganze Zeit sagen. Es tut mir sehr Leid.«
Viktor nickte stumm. Nach vier Jahren musste niemand mehr den Grund seiner Anteilnahme erklären. Es war klar, was er meinte.
»Aber der Aufenthalt sollte Ihnen gut tun, denke ich. Und deshalb bin ich hier.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich hab mich gefreut, als Sie auf die Insel übergesetzt sind. Hab gesehen, wie Sie an Land gingen. Und hab gehofft, dass Sie auf andere Gedanken kommen. Dass Sie bald besser aussehen würden. Aber …«
»Aber was?«
»Sie sind noch blasser als vor einer Woche. Gibt es einen Grund dafür?«
Ja. Einen Albtraum. Und er nennt sich ›Mein Leben‹. Und du machst ihn durch deinen Auftritt hier nicht besser, dachte Viktor. Doch anstatt seine Gedanken laut auszusprechen, schüttelte er beschwichtigend den Kopf und provozierte damit eine weitere Gleichgewichtsstörung.
Halberstaedt schloss die Gartenpforte von außen und sah ihn streng an.
»Egal. Kann mich irren. Ist vielleicht alles halb so wild. Aber trotzdem: Denken Sie bei der Frau an meine Worte.«
Viktor nickte nur.
»Ich mein es ernst, Doktor. Passen Sie in nächster Zeit etwas auf sich auf. Ich hab da kein gutes Gefühl.«
»Mach ich. Danke.«
Viktor schloss die Haustür und sah Halberstaedt durch den Spion hinterher, bis er aus seinem eingeschränkten Blickfeld verschwunden war.
Was geht hier vor?, dachte er. Was hat das alles zu bedeuten?
Es sollte noch gut vier Tage dauern, bis er die Antwort erfuhr. Leider zu einem Zeitpunkt, an dem für ihn bereits alles zu spät war.
7. Kapitel
Parkum, vier Tage vor der Wahrheit
B: Haben Sie noch Hoffnung?
Die zweite Frage des Interviews war für Viktor die schlimmste. Nach einer unruhigen Nacht und einem lieblos zubereiteten Frühstück saß er seit zehn Uhr früh vor seinem Laptop. Doch heute hatte er eine gute Ausrede, warum sein Bildschirm nach einer halben Stunde immer noch leer war. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, dass sich tatsächlich eine Grippe bei ihm ankündigte. Das Schwindelgefühl von gestern war zwar fast verschwunden, dafür hatte er, seitdem er aufgewacht war, leichte Schluckbeschwerden und Schnupfen. Trotzdem wollte er heute die verlorene Zeit von gestern wieder hereinholen.
Hoffnung?
Am liebsten würde er mit einer Gegenfrage antworten:
Hoffnung worauf? Darauf, dass Josy noch lebt oder dass ihr Leichnam gefunden wird?
Ein starker Windzug ließ das Sprossenfenster erzittern. Viktor erinnerte sich dunkel an die Unwetterwarnung im Wetterbericht. Angeblich sollten die seit gestern angekündigten Ausläufer des Orkans »Anton« die Insel heute Nachmittag erreichen. Schon jetzt war eine graue Regenwand im Begriff, sich bedrohlich über dem Meer aufzubauen, und heftige Windböen peitschten die ersten Regenschauer an die Küste. Die Temperatur war über Nacht merklich gefallen, und das Feuer im Kamin brannte nicht mehr ausschließlich aus optischen Gründen, sondern weil seine Wärme zur Unterstützung der generatorbetriebenen Ölheizung tatsächlich benötigt wurde. Auch die Fischer und Fährmänner hatten die Berichte der Küstenwache offenbar ernst
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