Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
schüttelte.
»Nie gehört, Dr. Larenz. Tut mir Leid. Jetzt muss ich aber weiter, sonst hol ich mir noch den Tod.«
Passend zu seinen letzten Worten rollte ein weiteres tiefes Grollen von Norden her über die Insel hinweg, und ein Teil von Viktor wunderte sich, dass er den dazu gehörenden Blitz gar nicht gesehen hatte. Der andere Teil versuchte, das neu gewonnene Puzzlestück an der richtigen Stelle einzuordnen. Wie war Anna hierher gekommen, wenn nicht mit der Fähre? Und warum hatte sie auch in diesem Punkt gelogen?
»Ach, ähh, Dr. Larenz …«
Der alte Fährmann unterbrach Viktors Gedankengang und war wieder ein paar Schritte auf ihn zugekommen.
»Es geht mich zwar nichts an, aber, was wollen Sie denn von der Frau?«
Wo Sie doch verheiratet sind, heute Abend, hier, mitten im Regen? Diese Worte blieben unausgesprochen, hingen jedoch schweigend in der stürmischen Luft.
Viktor zuckte nur mit den Achseln und wandte sich ab.
Ich will wissen, was mit meiner Tochter passiert ist.
45. Kapitel
D er »Ankerhof« war ein Bilderbuch-Gasthof, wie man ihn sich auf einer einsamen Nordseeinsel vorstellt. Direkt dem Jachthafen gegenüber gelegen, zählte das dreistöckige Fachwerkhaus zu den höchsten Gebäuden der Insel, wenn man mal vom Leuchtturm am Struder Eck absah. Nachdem ihr Mann gestorben war, konnte sich Trudi von der geringen Rente und den wenigen Gästen, die sich in der Saison hierher verirrten, gerade so über Wasser halten. Aber sowohl das Haus als auch seine Besitzerin waren eine Institution, die nicht aus dem Inselalltag wegzudenken war und für deren Erhalt die Einwohner alles getan hätten. Notfalls sogar selbst bei ihr übernachtet. An guten Tagen, wenn Parkum die Anlaufstelle für eine Segelregatta war, fanden hier bis zu zwanzig Personen eine behagliche Unterkunft. Und wenn die wenigen Sonnentage es zuließen, stellte Trudi die Tische ins Freie und servierte Gästen und Bekannten ihre selbst gemachte Limonade oder Eiskaffee im Garten. Im Herbst erzählten sich die alten Dorfbewohner vor dem schmiedeeisernen Kamin im Foyer des kleinen Hotels Seemannsgeschichten und genossen Trudis selbst gebackenen Kuchen. Es sei denn, Trudi beschloss, ihre Verwandten in wärmeren Gefilden zu besuchen und den Betrieb bis zum Frühling zu schließen. So wie dieses Jahr. Nach dem mysteriösen Gespräch mit Halberstaedt war Viktor, während er sich langsam dem Gebäude näherte, nicht erstaunt, dass die Fensterläden im »Ankerhof« verriegelt waren und aus dem Schornstein kein Rauch drang.
Was will ich hier?, fragte er sich, als er sich umsah und nach einem Lebenszeichen von Anna Ausschau hielt.
Einen kurzen Augenblick musste Viktor den Impuls unterdrücken, laut ihren Namen zu rufen, nur um wirklich sicherzugehen, dass sie nicht gewaltsam in das verschlossene Haus eingedrungen war, um von dort aus ihre unheimlichen Spiele mit ihm zu spielen.
Plötzlich klingelte sein Handy wieder. Dieses Mal war es ein anderer Klingelton, den er für seine engsten Freunde und Verwandten eingestellt hatte.
»Ja?«
»Sag mal, willst du mich verarschen?«
»Kai? Was ist denn los?«
Viktor ging zurück auf die Straße, einige Schritte weiter nach Osten und versuchte dabei, den Privatdetektiv zu verstehen.
»Was spielst du für ein Spiel mit mir?«
»Ich? Wovon redest du?«
»Ich rede von dem Fax.«
»Ach so. Gut, dass du anrufst, da war nichts drauf.«
»Nichts drauf? Du weißt selbst am besten, was da nicht drauf war, also verarsch mich nicht.«
»Was meinst du denn nur? Was ist los mit dir?«
Viktor musste sich gegen den Wind drehen, als eine Böe ihm einen Schwall Regenwasser ins Gesicht wehte. Von dieser Position aus wirkte der verlassene »Ankerhof« wie eine baufällige Filmkulisse.
»Ich habe den Anschluss überprüfen lassen, von dem die Kinderzeichnung gesendet worden ist. Ich wollte wissen, wer mir die Katze zugesandt hat.«
Die blaue Katze Nepomuk.
»Und?«
»Sie kam von dir. Aus deinem Haus. Du selbst hast sie mir von Parkum aus gefaxt.«
Das kann nicht sein, dachte Viktor.
»Kai, ich weiß nicht, was …«, wollte er gerade ansetzen, als er von einem Doppelpiepton unterbrochen wurde, gefolgt von einer anonymen Frauenstimme: »Sie befinden sich außerhalb unseres GSM-Netzes. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.«
»Scheiße.« Viktor sah auf sein Handy und fluchte laut. Sein letzter Kontakt zum Festland war abgerissen. Er drehte sich wieder um. Blieb stehen. Ließ seinen Blick in alle
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