Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
bereits zu spät.
49. Kapitel
W issen Sie jetzt Bescheid?«
Viktor ließ vor Schreck die Blätter fallen, die er in seiner Hand hielt, als er die ihm bekannte Stimme hörte. Das Entsetzen packte ihn wie eine Würgeschlange. Und weil er unter der verstreuten Papiersammlung auf dem Schreibtisch seine Pistole nicht mehr finden konnte, drehte er sich um – völlig wehrlos. Im Gegensatz zu Anna. Sie hatte sich mit einem langen Tranchiermesser bewaffnet, dessen Holzgriff sie so fest hielt, dass jegliches Blut aus ihren Fingern gewichen war. Trotz des bedrohlichen Auftretens sah sie so schön aus wie am ersten Tag. Es ging ihr wieder besser. Ihre Haare waren perfekt frisiert, ihr schwarzes Kostüm betonte ihre sinnliche Figur und zeigte keine einzige Falte. Selbst die Lackschuhe waren auf Hochglanz poliert.
Suchen Sie mich nicht. Ich werde SIE finden!
»Hören Sie.«
Viktor beschloss, die Flucht nach vorne zu wagen und erst einmal zu ignorieren, dass sie ihm ganz eindeutig mit Gewalt drohte.
»Anna, ich kann Ihnen helfen!«
Sie ist nicht schizophren. Sie tut nur so.
»Sie wollen mir helfen? Sie? Wo Sie doch schon bei Ihrer eigenen Familie alles verpfuscht haben? Ihr Kind, Ihre Frau, Ihr Leben.«
»Was haben Sie mit meiner Frau zu tun?«
»Sie ist meine beste Freundin. Ich lebe jetzt mit ihr zusammen.«
Viktor wünschte sich, er könnte den Wahnsinn in ihren Augen aufblitzen sehen. Doch ihr hübsches Gesicht machte ihre bizarren Worte nur noch grauenhafter.
»Wie heißen Sie wirklich?«, fragte Viktor und suchte nach irgendeiner Gefühlsregung in ihren Gesichtszügen.
»Sie kennen meinen Namen, Viktor. Ich heiße Anna. Anna Spiegel.«
»Okay, Anna. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich habe mit der Parkklinik in Dahlem telefoniert.«
Anna lächelte Viktor zynisch an.
»Sie haben da angerufen? Sind Sie neugierig gewesen?«
»Ja, und man hat mir gesagt, dass Sie dort nie als Patientin waren. Wohl aber gab es eine Studentin mit diesem Namen. Und die ist jetzt tot.«
»Was für ein merkwürdiger Zufall, finden Sie nicht? Wie wurde sie denn ermordet?«
Anna hielt das Tranchiermesser schräg, so dass der sich darin widerspiegelnde Schein der Schreibtischlampe für einen kleinen Moment Viktors Augen blendete.
»Das weiß ich nicht«, log er. »Aber bitte seien Sie vernünftig.«
Viktor dachte fieberhaft nach. Für diese Situation hatte er sich keine Strategie zurechtgelegt. In Berlin war nach einem wesentlich harmloseren Zwischenfall ein Alarmknopf unter seinem Schreibtisch installiert worden. Und das ist der Grund, warum ich früher Patienten niemals außerhalb meiner Praxis empfangen habe, dachte er. Verzweifelt versuchte er es mit einer anderen Strategie.
»Schön, Anna. Sie haben mir doch gesagt, dass alle Personen, die Sie sich in Ihren Büchern ausdenken, real werden.«
»Ja, gut zugehört, Doktor.«
Ich muss erreichen, dass sie redet. Bis Halberstaedt nach Hause kommt. Bis irgendetwas passiert. Egal, was.
Viktor beschloss, weiter so zu tun, als glaube er ihr die Geschichte von ihrer Schizophrenie.
»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Als Sie vorhin sagten, es sei ›wieder‹ passiert, da meinten Sie, dass erneut jemand in Ihrem Leben in Erscheinung getreten ist, den Sie selbst erschaffen haben. Richtig?«
Ein kurzes Kopfnicken wurde von Viktor als Zustimmung gedeutet.
»Das ist deshalb der Fall, weil Sie mein Interview abgeschrieben haben.«
»Nein.« Anna schüttelte heftig ihren Kopf.
»Sie haben meine Antworten abgeschrieben und dabei mich erschaffen. Aber das ist nur natürlich, da ich wirklich existiere. Verstehen Sie?«
»Nein. So ist es nicht.«
»Anna, bitte. Es ist dieses Mal wirklich ganz einfach: Ich existiere. Ich entspringe nicht Ihren Gedanken, ich bin nicht die fiktive Gestalt aus einem Ihrer Bücher. Das, woran Sie zuletzt gearbeitet haben, handelt von mir. Nicht Sie! Ich habe es geschrieben.«
»Das ist doch Blödsinn!«, schrie Anna unvermittelt auf und fuchtelte wild mit dem Tranchiermesser, so dass Viktor mehrere Schritte zurückwich, bis er an den Schreibtisch vor dem Fenster stieß.
»Begreifen Sie denn gar nicht, was hier vor sich geht? Sehen Sie denn nicht die Zeichen?« Ihre Augen blitzen wild und funkelten ihn böse an.
»Was meinen Sie? Von welchen Zeichen reden Sie?«
»Oh, Dr. Psycho-Profi, Sie halten sich für superschlau. Ja? Sie meinen, dass ich Sie bestehle, bei Ihnen einbreche, mit Ihrer Frau telefoniere. Und Sie glauben, dass ich etwas
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