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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mein Onkel hat sie vor ein paar Jahren getroffen.«
    »Geht es ihr gut?«
    »Wir nehmen es an.«
    »Eine große Erleichterung für euch, nicht wahr?«
    »Eine große Erleichterung, ja.«
    Danach sprach ich nicht mehr von der Sache, selbst dann nicht, als Roman wieder von dem Buch anfing und sich als Ghostwriter empfahl. Es sei doch ein großartiges Thema, meinte er. Ein Fluchtabenteuer wie im Kino, wir alle nur um Haaresbreite dem Tod entkommen. Tragik und Action, und Kinder im Mittelpunkt. Eine Geschichte, wie das Publikum sie liebte. Ich zeigte wenig Entgegenkommen. Ich sah mein Leben nicht als eine Unterhaltungsstory, die man von progressiven Intellektuellen aufblasen läßt und den Konsumenten als Betthupferl serviert. Eine Frage des Takts, was Roman nicht erkannte. Ich dachte ungern an Zeiten des Leidens zurück, wollte die Narben des Kummers nicht zum Bluten bringen. Chodonla erwähnte ich nicht mehr. Aber sie war bei mir, in jedem Augenblick eines jeden Tages meines Lebens.
    Mein Badezimmer hatte kein Fenster; die Beleuchtung war schummrig. Manchmal, wenn ich abends müde in den Spiegel blickte, sah ich die Dinge wie durch einen Tränenschleier. Dann war mir, als leuchte ihr Antlitz durch mich hindurch. Ich verrenkte den Hals, meine Augen waren dem Spiegel sehr nahe. Ich sah mich, kaum stecknadelgroß, als glänzenden Reflex in der eigenen Pupille.
    Das Gesicht darunter schimmerte weiß. Ich vergaß, die Lider zu bewegen, versank in meinem Bild, verwirrt und beunruhigt, sprach leise einen Namen aus, sah, wie die Fläche vor dem Mund sich trübte, das Spiegelbild verblaßte. Ich wischte die Trübung mit dem Ellbogen fort. Der Schmerz der Trennung war sehr intensiv, ein Krampf, der den ganzen Körper erfaßte. Aber dieser Schmerz muß 35
    Zwillingen wohl zu eigen sein.
    36

4. Kapitel

    M eine Schwester Lhamo wollte sich scheiden lassen. Matthias, mit dem sie seit drei Jahren verheiratet war, ging fremd. Matthias war mir, trotz seines attraktiven Aussehens, nie sympathisch gewesen. Er lachte selten, was sehr schade war, trug eine Fliege und hielt sich übertrieben gerade. Er war voller Hemmungen, hypersensibel und zugleich bestrebt, durch ein forsches Auftreten seine Empfindsamkeit zu vertuschen. Mit solchen Männern hatte ich nie etwas anfangen können. Zeitverschwendung. Lhamo gab sich große Mühe, aber man konnte nicht sagen, daß sie gut zueinander paßten. Matthias hatte – trotz der Wirtschafts flaute – einen gut bezahlten Posten innerhalb der Geschäftsleitung eines Warenhauses.
    Seit ein paar Monaten schlief er mit einer Kassiererin aus der Lebensmittelabteilung. Für Lhamo war das ein Schlag ins Gesicht.
    Matthias, zur Rede gestellt, machte aus seinem Verhältnis kein Geheimnis. Der firmaeigenen Blondine wurden vorbildliche Eigenschaften nachgesagt: sehr feminin, sympathisch, anpassungsfähig. Mit ihr hatte er das Gefühl, im Himmel zu sein.
    »Kastrationsängste«, sagte ich. »Ein klassischer Fall.« Lhamo war eine intelligente, gebildete Frau und zugleich gutgläubig wie ein Kind. So wahrheitsliebend, daß sie die Kunst des Kompromisses nicht beherrschte. Matthias fühlte sich Lhamos Redlichkeit nicht gewachsen und suchte Bestätigung bei einer anspruchsloseren Frau.
    Unlängst hatte Lhamo mir gestanden, daß es bei ihnen im Bett schon lange nicht mehr klappte.
    »Er sagt, ich sei kalt. Bin ich kalt, Tara?«
    »Du kannst dich nicht für ihn begeistern wie eine Gans.«
    Lhamo rang ihre langen, ausdrucksvollen Hände.
    »Aber wie soll es weitergehen,«
    »Warum mußt du für seine Komplexe aufkommen?«
    Lhamo war groß, und in ihrer Haltung lag etwas, das sie noch größer erscheinen ließ. Ihr Haar war schwarz wie Rabenfedern, ihre Augen leuchteten, der Mund trat üppig und sinnlich hervor. »Lhamo ist schön«, hatte man stets von ihr gesagt, was für mich bedeutete, daß ich wohl nicht so schön war. In meiner Pubertät hatte ich darunter gelitten. Lhamo wurde Direktionssekretärin, kaufte sich teure Kleider und Kosmetik, als ich noch die Schulbank drückte und eine Zahnspange trug. Ihre gut bezahlte Stelle hatte sie aufgegeben, 37
    weil Matthias sie darum gebeten hatte. Jetzt wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie schämte sich vor den Eltern. Schließlich zog sie mich ins Vertrauen. Obwohl ich die Jüngere war, verließ sich Lhamo auf mein moralisches Urteil. In ihrer naiven Art glaubte sie, ich bekäme solche Geschichten von den Patienten fortwährend aufgetischt. Sie war verstört, hatte

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