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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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von chinesischen Ärzten behandelt wurden. Manche Leute sahen das als Fortschritt an. Den Khampas gab das zu denken. Die alte Straße nach Lithang war in Wirklichkeit nur eine schlechte Piste, eng und voller Windungen, im Sommer staubig und in der schlechten Jahreszeit ein einziger Schlammfluß. Hier begegnete man Leuten von überall her, Nomaden, Bauern, Handwerkern, Schäfern, Händlern; Pilger aus allen Teilen Tibets und die großen Karawanen zogen vorbei.
    Menschen und Vieh wanderten abseits der großen Asphaltstraße zwischen Kangting und Lhasa, die wir den Chinesen verdankten.
    Diese Straße, in einer durchschnittlichen Höhe von viertausend Meter gebaut, überquerte vierzehn Bergzüge und sieben große Flüsse. Am Anfang sahen wir die Straße eher als etwas Gutes an. Die chinesischen Ingenieure und Topographen waren keine ungern gesehenen Gäste. Sie kauften Geflügel, Ziegen und Schweine, tauschten sie oft gegen nützliche Gegenstände: Streichhölzer, Petromax-Lampen, Aluminiumgeschirr, Eimer und Schüsseln aus Plastik, wattierte Jacken und Nylonmützen, die vor Regen schützten.
    Chinesische Ärzte behandelten die Kranken und heilten sie schneller, als wir es mit unserer traditionellen Medizin fertigbrachten. Oft sahen wir Autos – sowjetrussische Jeeps zumeist-, die hohe Beamte beförderten. Arbeiter und jüngere Beamte fuhren in Lastwagen. Aber wir bemerkten auch, daß zahlreiche Fahrzeuge Truppenverbände in die Hauptstadt führten. Ich hatte geglaubt, alle Kommunisten arbeiteten hart und aßen dasselbe, aber bald sah ich, daß es ein Menge Unterschiede gab. Die Straße wurde von Soldaten gebaut, die ihre schwere Arbeit klaglos verrichteten; oft sangen sie dazu, aber ihre Gesichter sahen dabei nicht fröhlich aus. Sie waren schlecht gekleidet und froren und erhielten nur zwei karge Mahlzeiten am Tag. Die Offiziere mieteten gute Häuser und ließen sich von dem Mißtrauen der Bevölkerung nicht einschüchtern. Sie hatten eine verbindliche Art, tibetische Beamte, Mönche und Kaufleute großzügig zu bewirten und ihnen nach dem Mund zu reden. Sie erklärten, daß sie von der Weisheit hoher Lamas lernen wollten; zu den Händlern sagten sie, die Soldaten seien da, um sie vor den Räubern zu schützen. Ihren Hochmut verbargen sie äußerst geschickt. Sie achteten unsere Sitten, so daß ihnen eigentlich niemand ein Vorwurf machen konnte. Sie baten meinen Onkel Tenpa Rinpoche, ihnen Lehrer für die Ausbildung der chinesischen 278
    Soldaten zur Verfügung zu stellen. Tenpa Rimpoche fand einige Lamas, die Chinesisch konnten und sich dazu bereit erklärten. Die Straße war so breit, daß zwei Lastwagen gut nebeneinander herfahren konnten. »Wozu eigentlich?« wollten unsere Häuptlinge wissen. Die Chinesen lächelten. Auf diese Weise konnten Geräte, Nahrung und Heizmaterial bei Mißernte oder Schneetreiben schnell herbeigeschafft werden. Warum fuhren Militärfahrzeuge Tag und Nacht vorbei? Weil an vielen Stellen gleichzeitig gebaut wurde. Der Asphalt sollte vor dem Wintereinbruch gelegt werden, damit er festen Halt bekam. Die Häuptlinge witterten Verdruß. Die Volksbefreiungsarmee war seit 1949 in Lhasa stationiert. Innerhalb eines Jahres waren über zehntausend Chinesen dazugekommen.
    Ferner sahen die Häuptlinge, daß den Tibetern allmählich ihr sprichwörtlicher Langmut verloren ging. Trafen sie Chinesen auf den Straßen, verknoteten sie die Enden ihrer Schärpen und schlugen auf sie ein. Oder sie klatschten in die Hände, was sehr kränkend ist (man klatscht in die Hände, um böse Geister zu verscheuchen.) Die Chinesen nahmen von den Beleidigungen keine Notiz. Die Häuptlinge lachten darüber, doch sie blieben skeptisch. Sie nannten die Eindringlinge Tenda Gyamar – die roten Feinde der Religion.
    Die Chinesen steckten voller Machenschaften, leicht durchschaubar übrigens und äußerst gefährlich. Bevor die Khampas aus diesen Leuten Hackfleisch machen würden, war es gut, von den Chinesen zu nehmen, was sie zu geben hatten.
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34. Kapitel

    I ch traf Xiao Dan zum ersten Mal bei meinem Lehrer Kelsang Jampa. In ganz Tibet richteten die Chinesen Schulen, Vereine und Kulturgruppen ein, und das meistgebrauchte Wort in ihrem Mund war »patriotisch«. In diesem für die Zukunft Tibets entscheidenden Augenblick sei es die Pflicht eines jeden, patriotisch zu sein. Xiao Dan hatte Kelsang Jampa eine Spende geschenkt, was den alten Mann sehr rührte. Er erklärte, daß er den Auftrag habe, eine Schule

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