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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einzurichten, wo tibetische Kinder chinesisch lernen konnten. Tibet sei kein besetztes Land, sondern freier Teil eines freien Staates.
    Kelsang Jampa erwiderte, daß er keinen Augenblick daran gezweifelt habe. Der Zufall wollte, daß mich meine Mutter mit getrocknetem grünen Yakkäse und einem irdenen Topf mit Quark zu ihm schickte. Es war allgemein üblich, den Lehrern Geschenke zu machen. Ich war überrascht, einen Chinesen bei ihm anzutreffen, und starrte ihn argwöhnisch an. Mein Lehrer nannte meinen Namen und bemerkte dazu, ich sei sein vorlautester Schüler, wobei er mir zublinzelte. Xiao Dan lachte fröhlich, die Wärme und die Offenheit seines Lachens gefielen mir. Er war hochgewachsen, sein Gesicht wirkte sanft. Er sprach sehr behutsam und schelmisch, sagte in ernstem Tonfall, er sei eigens für mich gekommen, und ich müsse bei ihm Chinesisch lernen. Die Lehrbücher würden bald aus Beijin eintreffen; inzwischen würde er mich nach Gehör unterrichten und mir zweitausend neue Schriftzeichen beibringen. Ich sah Kelsang Jampa bestürzt an; dieser jedoch nickte mir freundlich zu.
    »Lerne Chinesisch! Jede Sprache ist gut.«
    Meine Mutter hatte nichts einzuwenden, und so ging ich in den Unterricht. Es kamen nur wenige Kinder. Die Eltern erlaubten es ihnen nicht; sie mißtrauten den Chinesen. Xiao Dan war ein guter, einfühlsamer Lehrer; seine Aufgabe war zweifellos nicht leicht, weil die Kinder verschiedenen Altersgruppen angehörten. Der Unterricht fand an drei Wochentagen, von zwei bis fünf Uhr nachmittags statt.
    Wir mußten ihn mit Chi-ling begrüßen, bevor wir uns setzten. Ich konnte schlecht stillhalten und hatte meinen eigenen Kopf, aber die chinesischen Ideogramme faszinierten mich. Ich war von ihrer Sichtbarmachung eines Gegenstandes oder eines Gedankens ganz bezaubert. Xiao Dan sah meinen Wissensdurst und brachte viel Geduld für mich auf. Er selbst war noch jung - vierundzwanzig, wie 280
    er mir sagte – und auf seine Art vom gleichen Lerneifer erfüllt. Er hatte begonnen, Tibet zu lieben, was seine Einsicht bereicherte, aber nicht unbedingt seiner Aufgabe entsprach.
    Im Oktober fanden bei uns die Reiterspiele statt. Die Nomaden kamen von weither, um ihre Reitkünste zu zeigen und sich im Bogenschießen zu messen. An dem Festtag war das Herbstlicht von blendender Klarheit. Die Luft war klar und prickelnd und duftete nach Absinth. Die prächtig geschmückten Pferde stampften vor Erregung. Die meisten Reiter waren jung; sie trugen verschiedenartige Kleidung und Schmuck, je nach ihrer Provinz. Ihre bronzebraunen Gesichter hatten den Ausdruck von Jägern, die es gewohnt sind, Beute zu machen. Die Hunde, die niemals fehlen durften, liefen aufeinander zu, bellten und winselten und machten den größten Lärm. Plötzlich traf, zu meiner großen Überraschung, Kelsang Jampa in Begleitung von Xiao Dan ein. Der alte Gelehrte ritt auf einem gutmütigen Maultier; Xiao Dan war mit dem Fahrrad gekommen. Ich sprengte beiden Männern auf Khan entgegen, und Kelsang Jampa sagte mit humorvollem Lächeln: »Ich bat meinen geehrten Gast, sich an unserem Fest zu erfreuen. An dem Rennen wird er nicht teilnehmen. Seinem Drahtesel würde die Luft ausgehen.«
    Das vergnügte mich sehr; Khan und ich zeigten ihm ein paar Kunststücke, und Xiao Dan sparte nicht mit Lob. Doch plötzlich wandte er die Augen von uns ab und fragte Kelsang Jampa:
    »Wer ist dieses wunderschöne Mädchen dort?«
    Mein alter Lehrer folgte seinen Blick. Ein feines Lächeln kräuselte sein Mundwinkel.
    »Sie ist Shelo, die Herrin der Pferde.«
    »Sie ist meine Mutter! « rief ich stolz.
    Shelo ritt Lapka, ihre dunkelbraune Lieblingsstute. Sie trug ein rotes Mantelkleid und ein Kopfband, das seitlich mit großen Türkisen und Silberspangen befestigt war. Sie würde am Rennen teilnehmen, aber nur aus Freude am Spiel. Sie wollte ihr Reittier aufwärmen und sparte ihre Kräfte für später auf. Schon warf der Ruf eines Horns sein vielfältiges Echo über die Steppe. Im selben Augenblick hoben sich, wie in einer einzigen Bewegung, alle Reitgerten. Tosend und donnernd fegten die Reiter über die Steppe hinweg. Geisterpferde, die schon vorbei waren, ehe das Auge sie richtig wahrnehmen konnte, brausend wie eine Sturmflut und von unvergleichlicher Pracht. Das Stampfen vieler Hufe schlug Funken 281
    aus dem Boden, schleuderte Erdbrocken hoch. Die weiße Ziellinie hatte man mit ungelöschtem Kalk auf dem Boden gezogen. Rechts vom Ziel stand ein beflaggter Mast.

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